Anna-Sophie Berger, Kunst, contemporary

Anna-Sophie Berger: Sprachlosigkeit der Mode

Als Anna-Sophie Berger ihre erste Gruppenausstellung in einer New Yorker Galerie hatte, war sie noch mitten im Studium. Eine Erfahrung, die sie im Rückblick ‚Befreiungsschlag’ nennt, weil sie dort schon als Künstlerin wahrgenommen wurde, während sie in Wien noch Studentin war. 

An der Universität für Angewandte Kunst in Wien hatte man Anna-Sophie Berger erklärt, man müsse sich zwischen bildender Kunst und Design entscheiden. Selbst hat sie den Konflikt nie so empfunden. Sie hatte sich 2008 in der Mode- und Photographieklasse der Angewandten beworben, erhielt von beiden eine Zusage und entschied sich letztendlich für Mode – aus einem skulpturalen Interesse und mit dem Willen künstlerisch zu arbeiten, wie sie anmerkt.

Foto oben: Flüchtige Realität: Der am Boden liegende nasse Seidenmantel im Innenhof der Alten Post anlässlich des Take Festival 2016. Titel: she vanished 32016; Material: Baumwolle, Wasser, Blätter, Nähgarn; © courtesy die Künstlerin und jtt gallery

Während dem Studium zeigte sie ihre studentischen Arbeiten auf einer eigenen Website und erhielt so erste Interview-Anfragen von Bloggern, die meist gleichaltrig waren. Als ihre auf geometrischen Rastersystemen basierende Kollektion in einem Blog präsentiert wurde, meldete sich Zak Kitnick, ein Künstler aus New York, um die Arbeit mit ihr zu diskutieren. Es folgte eine Messenger-Diskussion, die sich über einen ganzen Sommer zog und eine Einladung zu einer gemeinsamen Ausstellung in der New Yorker Galerie JTT ein. Diese Zusammenarbeit mit dem Künstler und der Galerie war wichtig für die Entwicklung ihrer künstlerischen Position und – zurück in Wien – blieb sie mit ihren neuen Freunden in New York in Kontakt. Nach Abschluss ihres Studiums reiste sie erneut zu einer Einzelausstellung in den Big Apple und wurde kurz darauf von der Galerie unter Vertrag genommen. 

Dieser Artikel erschien am 17.11.2017 im Wiener Journal, Supplement der Wiener Zeitung.

In der Zwischenzeit erhält die junge Künstlerin auch in Österreich gute Rezensionen und hatte als Preisträgerin des 1. Kapsch Contemporary Art Award im Oktober 2016 ihre erste Einzelausstellung im Mumok Wien. Das hinderte sie aber nicht daran im November darauf einen langfristig geplanten New York-Aufenthalt anzutreten. Im Skype-Interview spricht die Künstlerin über das Verhältnis von Kunst und Mode:

Anna-Sophie Berger, Contemporary, Kunst
Anna-Sophie Berger (c) Hanna Putz

Warum hast du zwar Modedesign studiert, wolltest aber nie in die Modeindustrie?

Was mich von Anfang an gestört hat, war der kommerzielle Druck. Um Produkte auf hohem Qualitätsniveau zu produzieren und gleichzeitig als Unternehmen zu wachsen, braucht man viel Geld; zusätzlich schafft der saisonale Produktionsmodus ein hohes Tempo. Kleidung muss selbst im avantgardistischen Bereich produktionstechnisch umsetzbar und vom Konsumenten benutzbar sein. In der bildenden Kunst bin ich in jeder Hinsicht flexibler. Ich kann selbst über meinen Kalender bestimmen und bin flexibel in Material und Wert der Dinge, die ich produziere, das heißt, ich kann – je nach Idee – mit billigen oder teuren Werkstoffen arbeiten. 

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Gab es ein auslösendes Moment für die Entscheidung gegen die Mode und für die Kunst?

Es gab verschiedene Ereignisse, bei denen ich mehr Realität gespürt habe, zum Beispiel bei meiner ersten Ausstellung oder beim ersten Verkauf eines Exponats. Ich habe mich nicht gegen Mode als Ausdrucksform entschieden, sondern gegen ein Modell, in dem es vor allem darum geht, Vervielfältigbares und Tragbares zu produzieren. Manchmal sind es meine Modelle noch, aber es ist nicht mein vordergründiges Interesse. Einem Modedesigner muss es genügen, wenn sein Produkt einfach nur gekauft und getragen wird. Mein Interesse geht darüber hinaus. Ich produziere eine Jacke und möchte damit etwas sagen, wie zum Beispiel In dieser Jacke geht es um Leben und Tod. In der Kunst sehe ich eher die Chance, meinen Ideen Gehör zu verschaffen.

Anna-Sophie Berger, contemporary Art, Kunst
Der Erbsensamen als Schmuckstück, das auf dessen Wert als Lebens- und Nahrungsspender verweist. Titel: Pea Earring / 2015; Material: Erbsensamen, Sterlingsilber; (c) © Anna-Sophie Berger courtesy die Künstlerin und jtt gallery

Was schätzt du gegenüber der Mode an den künstlerischen Arbeiten?

Ich schätze an der Kunst, dass ich Dinge in einer Art bezeichnen kann, wie es in der Mode nicht möglich wäre. An der Mode schätze ich genau das Gegenteil – nämlich eine Form des freien Ausdrucks, der nicht auf sprachlicher oder semiotischer Ebene stattfindet. Wenn jemand ein Seidenkleid anzieht, dann zeigt dies eine intime Beziehung zwischen dem Individuum und dem Objekt – dem Seidenkleid. Das ist sehr verschieden zum Besitz eines Kunstobjektes wie zum Beispiel einer Malerei, die an der Wand hängt. Ich befasse mich mit beiden Erfahrungen und versuche sie in meine Arbeiten einfließen zu lassen. 

Und was reizt dich aus künstlerischer Perspektive an der Mode?

An der Mode fasziniert mich die Objekt-/Individuum-Beziehung. Eine Beziehung, die sich nach dem Philosophen Roland Barthes über Konnotationen definiert. Im Fall von Jeans wären dies Referenzen wie Workwear, Cowboy und Sexyness. Aber es gibt auch Aspekte in der Objekt-/Individuumbeziehung, die sich der Sprache versagen, wie zum Beispiel die Empfindung, die das Kleidungsstück auf der Haut auslöst oder das Körpergefühl welches das Kleidungsstück durch seine Art evoziert. Diese nichtsprachliche Art enthebt sich der Bedeutungsebene und eröffnet einen neuen Spielraum, in dem Objekte machtvoll sind. Wie eine alte Geldbörse, die man nicht wegwerfen will, weil sie das Geschenk einer geliebten Person ist.

Anna-Sophie Berger, Contemporary Art, Kunst
Eine Jacke in vier saisongerechten Stoffen symbolisiert die schützende Funktion von Kleidung. In Situationen extremer Exponiertheit kann Kleidung zusätzlich eine psychologische Schutzfunktion übernehmen. Titel: 4 Seasons (New York), 2014; Material: Leinen, Baumwolle, Wolle, Seide © Anna-Sopie Berger courtesy die Künstlerin und jtt gallery

Wie ist deine persönliche Beziehung zu Mode?

Mich fasziniert Kleidung als Hilfsmittel zur Konstruktion von Identität – oder auch von Intimität. Durch meinen nomadischen Lebensstil stehe ich immer wieder vor der Situation des Kofferpackens und muss überlegen, welche Kleidungsstücke ich mitnehme. Dabei stellt sich mir die Frage, ob diese Kleidung in wechselnden Umgebungen auch ein Mindestmaß von zu Hause oder von Sicherheit schaffen muss – ob Kleidung zur schützenden Behausung wird, wenn man keinen permanenten Wohnraum hat. Als feststand, dass ich nach New York gehe, habe ich mir zum Beispiel bei Retro Humana fünf Vintage Dirndlkleider in robustem einfarbigem Leinen gekauft, die ich hier über Hose und Sneakers zu einem dicken Pulli trage. In Wien würde ich sie nie tragen, weil sie dort folkloristisch und traditionalistisch konnotiert sind. Hier bringe ich das bedeutungsstarke Kleidungsstück in ein neues Umfeld und schätze daran den nostalgischen Bezug zur Heimat. 

Dazu kommt der Aspekt der Ordentlichkeit. Hier in New York ist es zum Beispiel nicht selbstverständlich eine Waschmaschine zu haben. Man wäscht im Waschsalon. Gleichzeitig ist die Stadt schmutzig und man ist viel draußen unterwegs. Diese Situation führt dazu, dass man ein Kleidungsstück öfter als einmal trägt und dass es mitunter nicht mehr ganz sauber ist. Der Umgang mit dem Problem ist verschieden. Manche übergehen es mit Nonchalance. Anderen scheint es gleichgültig zu sein, wie ihr Umfeld darauf reagiert. 

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Durch dein Studium wurdest du in der Mode sozialisiert. Kann man je aufhören in Kategorien der Mode zu denken?

Ob bildender Künstler oder Modedesigner – die Sensibilität für Moden ist den ästhetischen Milieus inhärent. Ich halte die Trennung der Denkweisen für eine konservative Idee. Auch der bildende Künstler ist laufend informiert über die Art von Kunst, die gerade bedeutend ist. Gleichzeitig hat er auch ein Handwerk gelernt, das ein bestimmtes Wissen erfordert und einem technisch funktionalen Muster folgt. Erst darauf aufbauend entwickelt er seine Projekte. 

Anna-Sophie Berger, contemporary Art, Kunst,
Install, 2016 triptych © courtesy die Künstlerin und jtt gallery; die Marmory Show @ Deborah Schamoni, Munich

Sind deine Arbeiten einer bestimmten Kunstrichtung zuzuordnen?

Wie auch andere Künstler meiner Generation finde ich historisch verankerte Begriffe schwierig, weil sie mit einer Agenda oder einem Politikum aus einer vergangenen Zeit verbunden sind. Ich arbeite medienübergreifend und meine Arbeiten sind oft skulptural – aber ich schreibe auch. Meine Praxis ist so vielschichtig, dass sich die Dinge erst nach eingehender Auseinandersetzung mit den Arbeiten erschließen – weshalb ich auch Texte dazu verfasse. Vielen meiner Objekte gemeinsam ist der ideelle oder reelle Bezug zum Körper oder zur Benutzung durch das Individuum.

Wie funktioniert das, wenn textile Objekte angekauft werden?

Wir geben dem Käufer nicht vor, was er machen darf. Die Dinge werden von mir in einen Präsentationsmodus gebracht und dem Käufer steht es frei, ob er das erworbene Objekt skulptural wahrnimmt, oder ob er es tragen will. Um Verschleiß zu vermeiden, wird es meist nicht getragen. 

Danke für das Gespräch.

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Über Anna-Sophie Berger:

Die Künstlerin wurde am 7. Feber 1989 in Wien geboren und verbrachte ihre Kindheit und Jugend in Kremsmünster (OÖ). 2008, nach der Matura, übersiedelte sie nach Wien, wo sie in der Modeklasse an der Universität für Angewandte Kunst unter Bernhard Willhelm und Veronique Branquinho studierte und 2014 das Diplom machte. Kurz darauf war die Abschlusskollektion Gegenstand ihrer ersten Einzelausstellung KE-17 JIGSAW, KE-03 LARGE PINKING, KE-24 SCALLOP, KE-16 POSTAL in der Galerie JTT in New York. Seit 2015 unterrichtet sie an der Universität für Angewandte Kunst in der Abteilung Kunst und Wissenstransfer. Im November 2016 ging sie für drei Jahre nach New York. 

Anna-Sophie Bergers Arbeiten sind geprägt vom Spiel mit Bedeutungen. Ihre Objekte sind oft skulptural. In ihren Texten referiert sie auf Autoren wie Samuel Beckett, Henry David Thoreau oder Virginia Woolf. Wenn sie Objekte anfertigt, dann bevorzugt sie das Kleinformatige, Zusammenfaltbare – wie dies bei Stoffen der Fall ist. Ein wiederkehrendes Sujet ist der Seidenmantel, den sie schon mehrfach variiert hat: Sie hat ihn schon in Wasser getaucht, damit er schwerer wird, in Schlamm getaucht, damit er mehr Struktur erhält und in Beton getaucht, damit er eine definitive Form erhält. In ihren Arbeiten referiert sie auf Äußerungen gesellschaftlicher Zustände, aber auch auf die Arbeitsbedingungen von Künstlern.

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1 Kommentar zu „Anna-Sophie Berger: Sprachlosigkeit der Mode“

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