Vielleicht auch nicht

Sabine Ott arbeitet an der Schnittstelle von Kunst, Design und Mode. Den Begriff Mode meidet sie. Vielmehr spricht sie von Bekleidung – oder Vielleichtbekleidung. Ihre Kleider können sich auch über einen Stuhl gezogen oder als Lampenschirm finden.

 

Sabine Ott studierte bei Wolfgang D. Prix an der Universität für Angewandte Kunst in Wien Architektur. Prix ist Mitbegründer der Architektenkooperative Coop Himmelblau und wird als bedeutender Vertreter des Dekonstruktivismus gehandelt. Eine Stilrichtung, in der Formen und Strukturen in Frage gestellt und neu erdacht werden. Sabine hatte schon ein paar Vorlesungen in Geschichte und Politikwissenschaften hinter sich und die Projekte bei Prix fühlten sich wie ein Kunststudium an. Das lag auch an ihrer Auffassung. Zur Aufnahmeprüfung war sie hypernervös, wagte aber trotzdem eine Performance. Vorgabe war ein steinerner Fußabdruck und Sabine reichte eine hochhackige Sandale aus Karton und nachgiebigem Drahtgeflecht ein, deren Absatz beim Hineinsteigen flachgedrückt wurde. Sie hatte architektonische Anliegen wie Material und Statik in einen gesellschaftskritischen Kontext gesetzt – eine Gesellschaft adressiert, die Frauen in hohen Schuhen zum Schönheitsideal erhoben hat.

Ihre Eigenwilligkeit bewahrte sie sich auch später im Studium. Während ihre Kommilitonen mit dem Heißdrahtschneider Kuben aus Styrodur schnitten, konstruierte sie Formen, die innen hohl waren – in die man hineinschauen konnte. Später kam dann die Nähmaschine ins Spiel und man konnte in die Formen auch hineinschlüpfen. Erst war es nur eine Naht, mit der sie eine Stofffläche zu einem Schlauch schloss. Der Schlauch war die Hülle für eine Person, die ein Gerüst am Körper trug. Dieses erlaubte die Befestigung mehrerer Metallstangen am Rücken. Sobald sich die Person vornüberbeugte, schoben sich die Stangen igelartig wie ein Kamm über den Kopf nach vorn.

Für ihre letzte Arbeit nahm sie die Nähmaschine dann schon mit in die Klasse. Sie konstruierte ein Zelt und entwickelte eine Art ‚modular clothing’, das aus vielen Stoffstreifen bestand. Die Statik war durch aufblasbare Teile einigermaßen gegeben. Mit dem Rattern der Nähmaschine durchbrach sie die von Schneiden und Kleben definierte Stille und zog sich kurzfristig den Ärger von Prix zu, der sagte: „Gindlhuber, hearns amoi auf!“ Gindlhuber war Sabines Mädchenname.

Text(ilien)

Sie brach das Studium 2000 ab und beschloss nicht Architektin zu werden. Ihr war zunehmend klar geworden war, dass es ein Berufsalltag vor dem Computerbildschirm sein würde. Außerdem sei sie „nicht so für das Bauen“, wie sie hinzufügt. Zum Broterwerb kellnerte sie zwei Tage pro Woche im Wiener Nachtclub Fluc. In der verbleibenden Zeit arbeitete sie an eigenen Projekten und solchen für die Kreativindustrie. Eines der ersten eigenen Projekte war der Entwurf eines total vereinfachten Schnittsystems für Bekleidung, dem sie architektonische Konstruktionsmethoden zugrunde legte. Zitat: „Von der Architektur habe ich gelernt, dass man bei der Planung eines hohlen Modells zweidimensional mit einem Stück Karton anfängt und daraus eine Form entwickelt.“ Das Projekt nahm zwei Jahre in Anspruch und brachte ihre ersten Bekleidungsobjekte hervor, die sie in einem Katalog unter dem Titel ‚Kollektion 2D’ dokumentierte. Seither entstanden eine Reihe von Unikaten, die Titel wie ‚Double Income no Kids’ oder ‚Elefantenkleid’ tragen.

„Architektur ist statisch, ein Kleidungsstück kann man zusammenlegen.“ Sabine Ott

Allen gemeinsam ist die Erweiterung der Grundfunktion um eine spielerische Komponente. Als solches erzählen sie eine Geschichte und haben mehr Berechtigung als „bloß ein Kleid oder schlimmstenfalls ein modisches Accessoire“, wie sie betont. Das Elefantenkleid besteht aus zwei verbundenen Kleidern mit drei Ärmeln. Von zwei Personen getragen, hängt der dritte Ärmel in der Mitte wie ein Elefantenrüssel nach unten. Trotzdem muss das Kleid nicht ungenutztes Kunstobjekt sein. Von einer Person allein getragen, bietet es unkonventionelle Trageoptionen.

 

sesselkleid 2 Kopie
Sabine Ott: Sesselkleid (c) Alexandra Eizinger

Foto oben: Objekt und Kleidungsstück: Das ‚Sesselkleid’ über den Sessel gezogen.

 

(Un)mode

Den Begriff Mode findet sie problematisch, weil er „das unmodisch werdende impliziert, das zu Obsoleszenz und Elitärem führt,“ wie sie erklärt. Auch Modezeitschriften lehnt sie ab, wegen der dünnen Frauen, der perfekten jugendlichen Gesichter, der hohen Hacken und der Luxusgüter. Sie selbst möchte Dinge machen, die sich ihre Freunde leisten können, die sie gern und möglichst lange tragen. Ihre Modelle entstehen im Kopf. Meist ist es eine vage Idee, die vor dem Stoffregal konkreter und dann gleich ausgeführt wird. Ob der Prototyp jemandem passt – ob es ein Kleid oder ein Vielleichtkleid ist – wird sich herausstellen. Wer ein Unikat von Sabine Ott haben will, kommt zu ihr und sucht sich ein Teil aus der Kollektion aus. Für Menschen die ihr nahestehen, fertigt sie auch nach Maß.

Als Designerin sieht sie sich dennoch nicht – sie fühlt sich zuerst als Künstlerin. Schließlich fertigt sie Einzelstücke und macht auch noch andere Dinge als Kleider – wechselt zwischen Design, Kunst und Bekleidung.

„Der Modebegriff ist problematisch, weil er das unmodisch werdende impliziert, das zu Obsoleszenz und Elitärem führt.“ Sabine Ott

Die Option des Wechselns und die unmittelbare Arbeit sind ihr wichtig. In einer digitalisierten Welt empfindet sie ihren Arbeitsmodus als einen archaischen, der vorindustriell anmutet und mit Isolation verbunden ist. Die auslagerungs- und digitalisierungsbedingte Arbeitsentfremdung war schon Thema mehrerer Projekte. Eines davon ist ‚Juni’, eine Wandinstallation mit einem Stapel von 30 Unterhosen, die beidseitig per Klett schließbar sind. Die Vorrichtung ist so konzipiert, dass der Nutzer die Unterhose im Sitzen anlegen und schließen kann. Der Vorrat reicht genau für einen Monat. ‚Juni’ ist eine Anspielung auf den Automatismus, den eine zunehmend fremdbestimmte Gesellschaft in einem engen Zeitraster entwickelt.

Es ist diese Art Sozialkritik, die die Künstlerin in ihren Arbeiten zum Ausdruck bringt. Wobei sich ihre Gedankengänge weniger aus der Auseinandersetzung mit der Politik, als aus der Reflexion des Alltags und der Position der Frau zwischen Privatheit und Öffentlichkeit entwickeln.

Stabil

In ihrem künstlerischen Alltag arbeitet Sabine mit sehr verschiedenen Materialien und Medien. Einende Merkmale sind die technische Herangehensweise und die sorgfältige Ausführung. Das hat sie bei Prix gelernt, der gerne an den Objekten rüttelte, um deren Stabilität zu prüfen. Auch die Materialien kommen oft aus dem architektonischen Modellbau. Ein Material bricht aus diesem Schema aus – es ist ihr eigenes hüftlanges Haar. In einem Portrait umhüllt ihr Haar ihren hockenden nackten Körper – tarnkappenartig – fast vollständig. Es folgt dem Titel ‚La Fillette’ und referiert auf die gleichnamige Arbeit der Künstlerin Louise Bourgeois, die damit eine Penis-Skulptur bezeichnete. Diese Skulptur gab Bourgois Sicherheit und sie trug sie ständig bei sich. Bei Sabine ist es das eigene Haar, das ihr Sicherheit vermittelt. Es ist nicht nur Mittel für performative Arbeiten sondern auch für Objekte. Sie befestigt ihr ausgefallenes Haar an Objekten, so dass es wie ein feiner Schleier herabhängt – und bei jedem Luftzug in Bewegung gerät.

 

Sabine Ott: La Fillette
Sabine Ott: La Fillette (c) Alexandra Eizinger

 

Medien, die sie nutzt, sind Print, Foto und Computer. Wobei der Computer nur Mittel zur Kommunikation und Dokumentation ihrer Projekte ist. Ihr Hang zur Dokumentation brachte ihr übrigens auch den Kontakt zur Galerie Michaela Stock ein, mit der sie seit mehreren Monaten zusammenarbeitet. Die Galeristin sah das Buch Fragile, das die Künstlerin 2015 im Triton Verlag veröffentlicht hatte. Darin hatte sie die Objekte in ihrer Altbauwohnung, die zugleich Atelier und Galerie ist, fotografisch festgehalten. Zitat: „Ich habe versucht, die vielen verschiedenen Dinge, die ich mache, in ein Format zu bringen.“ In den Jahren zuvor war sie immer wieder zu Ausstellungsbeteiligungen eingeladen worden, hatte sich aber nie aktiv an eine Öffentlichkeit gewandt. Zitat: „Ich habe viel Abstand zu meinen Anfängen gebraucht. Jetzt, in der Nachbetrachtung, finde ich sie nicht schlecht.“

Zerbrechlich

Ihre erste Einzelausstellung lief unter dem Titel Frozen Performance von Jänner bis März 2018. Die Objekte sind im gleichnamigen, 2018 im Triton Verlag veröffentlichten Buch nachzuschlagen. Die Ausstellung lief von Jänner bis März 2018.

Mit ihrem Modelabel SO war sie schon 2015 an die Öffentlichkeit getreten. Sie hatte sich für die Wiederbelebung des kurzweiligen Formats der Revue entschieden. Location war das Fluc, in dem sie nicht nur gearbeitet hatte, sondern auch oft mit ‚Kördelör’, dem Chor, in dem sie singt, aufgetreten war. Dieser Chor war es auch, der die musikalischen Beiträge für die Revue lieferte. Zentrales Element ihrer ersten Revue war das Dotter- oder Spiegeleikleid, das am besten zur Geltung kommt, wenn die Trägerin am Boden sitzt und aus der Vogelperspektive betrachtet wird. Dann liegt der weiße, überlange Rock kreisförmig um den oberen, gelben Teil des Kleides. Die Künstlerin zieht damit Parallelen zur Figur der Nixe und deren unzugänglicher Weiblichkeit.

Ihre zweite Revue lief 2017. Zentrales Element war die ‚Infantin’, in deren Rolle die Chorleiterin und Sopranistin Annette Fischer geschlüpft war. Sie trug ein Prinzessinnenkleid dessen Rock über ein tischartiges Gerüst fiel. Die 19 Chormitglieder trugen silberne Mottenkostüme, die Sabine fast ganz allein genäht hatte. Im Schlussbild drehten die Motten dem Publikum den Rücken zu und die einzelnen Buchstaben auf deren Rücken bildeten den Satz: „Vielleicht auch nicht“. Eine dritte Revue soll folgen.

Ein großformatiges Projekt, das sie gerne realisieren möchte, ist der ‚Kristallbomber’. Ein russischer Kampfjet, dessen Form mit – an transparenten Nylonfäden befestigten – Swarovskisteinen nachempfunden ist. Ein Miniaturmodell existiert bereits als Deckeninstallation im Vorzimmer ihrer Wohnung.

Gekürzt erschienen im Wiener Journal am 10. August 2018

Hildegard Suntinger

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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1 Kommentar zu „Vielleicht auch nicht“

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