Anna-Sophie Berger, Fashion is Fast, Geymüllerschlössel, Kunst und Mode, 2023

Anna-Sophie Berger: Mode im Verhältnis zur Zeit

Als Anna-Sophie Berger 2013 ihr Diplom in der Modeklasse der Universität für Angewandte Kunst  in Wien ablegte, war nicht sicher, ob ihre Arbeit akzeptiert werden würde. Die Reaktionen schwankten zwischen genial und ‚Themenverfehlung‘. Was sie so sicher machte, war, dass sie es schon in ihrer Studienzeit zu einer Ausstellung in einer New Yorker Galerie gebracht hatte.

Aus der Perspektive der Mode stellte die Masterkollektion von Anna-Sophie Berger nicht die erwartbare kreative Leistung dar: Die Modelle sind klassisch geschnitten, in Primärfarben gehalten und mit schwarzen Zahlen bedruckt – den Kleidergrößen der Models … Eine Anspielung auf das implizite Modegesetz des schlanken Körpers. „Ich schätze an der Kunst, dass ich Dinge in einer Art bezeichnen kann, wie es in der Mode nicht möglich wäre,“ sagte die Künstlerin in einem Interview, das ich 2017 im Wiener Journal veröffentlicht habe. 

Ihre Masterkollektion erschien unter dem Titel Fashion is Fast. Aktuell ist diese im Geymüllerschlössl zu sehen. Im Ausstellungsheft referiert sie darauf „als Studie von und als Persiflage auf die Existenz von Mode“. 

Fashion is Fast 

Unter Direktorin Lili Hollein wurde die Expositur des MAK Museum für Angewandte Kunst in Wien 2022 zum Ort für den Modediskurs. Anna-Sophie Berger ist schon die vierte zeitgenössische österreichische Künstlerin, die im kleinen Schloss aus der Biedermeierzeit ausstellt. Hier sind die KünstlerInnen zu einem einfühlsamen Umgang mit dem Interieur aufgefordert. Das Schlössl wurde 1808 – in der Zeit des Biedermeier (1815 bis 1848) – vom Schweizer Bankkaufmann Johann Jakob Geymüller erbaut. Für Anna-Sophie Berger Anlass, umfassend zu recherchieren – und neben eigenen Exponaten auch Objekte aus dem Theatermuseum und dem Archiv des MAK zu integrieren. Ergebnis ist eine Ausstellung, in der verschiedene Perspektiven eingenommen werden – und viele Geschichten erzählt – auf die in diesem Artikel nur exemplarisch eingegangen werden kann. 

Hier lesen Sie über den 1. Fashion Showcase im Geymüllerschlössl 2022: Ein Ort für den Modediskurs

Anna-Sophie Berger, Mode und Kunst, Geymüllerschlössel, The Years
MAK Ausstellungsansicht, 2023 (Con)temporary Fashion Showcase: Anna-Sophie Berger. The Years MAK Geymüllerschlössel © kunst-dokumentation.com/MAK

The Years 

Die Ausstellung widmet sich dem Verhältnis von Mode und Zeit. Der Titel ‚The Years‘, geht auf den gleichnamigen Roman von Virginia Woolf zurück. Anna-Sophie Berger hinterfragt in der Ausstellung das generelle menschliche Bedürfnis, Kleidung eine Lesbarkeit zu unterstellen.  

Theoretisches Fundament ist der Geschichtsbegriff von Walter Benjamin, der auf der Beobachtung zeitgenössischer Mode basiert. Wie Anna-Sophie Berger in ihren Texten zur Ausstellung schreibt, operiere Mode für Benjamin „durch nicht-zyklische Zeit, indem sie Dinge gewaltsam – berühmterweise ‚springend‘ – aus der Vergangenheit in die Gegenwart reißt, während sie ‚gemeinschaftlich verwirklicht‘ wird“. Der Philosoph Benjamin publizierte in der Zeit der Kulturrevolution und der Weltwirtschaftskrise (1920 – 1940). Damals entstanden glamouröse Modekaufhäuser, die sich in ihren Kreationen an der Pariser Haute Couture orientierten. 

Heute sehen junge ModedesignerInnen ihre Aufgabe darin, das Zeitgeschehen zu kommentieren.

Mode und Ideologie

Weiters referiert die Künstlerin auf Elizabeth Wilson und deren Auseinandersetzung mit Mode und Modernität in dem Buch Adorned in Dreams (1985). Die Autorin fokussiert die sozialen und kulturellen Komponenten von Mode. Deren Macht sieht sie in der Fähigkeit, Identität zu markieren oder zu untergraben. Ein Phänomen, das sie vor allem in Sub- und Popkultur sowie in zeitgenössischen Strömungen wie dem Feminismus oder der Genderpolitik beobachtet.

Weiters referiert Berger auf Roland Barthes Klassiker Die Sprache der Mode (1967). Der Philosoph forschte an Ideologien – oder, wie er es nannte – Mythen des Alltags. Ausgehend davon, dass Ideologien hauptsächlich über Konnotationen operieren, definierte er diese als sekundäre und oft unbewusste Bedeutungen, die Texte und Praktiken tragen – oder die diesen gegeben werden. Barthes fand eine Analysemethode mit der andere Zeichensysteme als jene der Sprache entschlüsselt werden konnten. In der Kleidung hatte er eine von allen gesprochene Sprache entdeckt.  

Dazu ein Zitat aus oben genanntem Buch: „Zweifellos steht das Modezeichen (…) gewissermaßen im Schnittpunkt eines individuellen (oder oligarchischen) Entwurfs und einer kollektiven Vorstellung; es wird oktroyiert, aber es entspricht auch einer Nachfrage.“ Sich der Mode zu entziehen, sei insofern unmöglich, als dies als moralischer Tadel und/oder als (Mode-) Sünde gewertet werde. 

Anna-Sophie Berger, The Years, Geymüllerschlössel
MAK Ausstellungsansicht, 2023 (Con)temporary Fashion Showcase: Anna-Sophie Berger. The Years MAK Geymüllerschlössel © kunst-dokumentation.com/MAK

Transmedial

Neben Modedesign studierte Anna-Sophie Berger auch transmediale Kunst. Demgemäß ist ihre künstlerische Praxis von einer eklektischen Kombination von skulpturalen, filmischen, fotografischen und Found-Footage-Techniken geprägt.

Die Einstimmung in die Ausstellung erfolgt im Vestibül des Geymüllerschlössels mit einer code-artigen Strickzeichnung. Diese steht für tiefes Dekolletee und Minirock. Der Titel: ‚Unanständig und arm‘. Es handelt sich um eine zweiteilige Serie. Im Vorraum des ersten Stocks findet sich das Gegenstück zu dieser Zeichnung. Es zeigt codeartige Abbildungen von einem langen Rock und einem verhüllten Oberkörper und trägt den Titel ‚Anständig und reich‘. Mit diesem Werk spielt die Künstlerin auf ein gesellschaftlich verankertes Bewertungsschema von Kleidungsstil an – und die gesellschaftliche Tendenz, sich sozial abzugrenzen. Die Zeichnung steht im Kontrast zu den antiken Bildern im Vorraum, die Szenen aus dem Wiener Volksleben zu Beginn des 19. Jahrhunderts zeigen.  Auf einem Monitor ist eine HD-Videoschleife zu sehen – mit Ton. Dieser basiert auf der Zusatzfunktion des im Schlössel befindlichen Flötenkanapees, welches verschiedene Musikstücke spielen kann, wenn man es aufzieht.

Anna-Sophie Berger, lewd & poor, 2022
Courtesy Anna-Sophie Berger und Lodos Mexico City
© Ramiro Chaves

Anna-Sophie Berger, proprietous & wealthy, 2022
Courtesy Anna-Sophie Berger und Lodos Mexico City
© Ramiro Chaves

Märzrevolution 

Raum für Raum entwarf Anna-Sophie Berger stimmige Szenarien, die Bezug auf das Interieur und die Geschichte des Hauses nehmen. In der Bibliothek findet sich etwa ein Bild der Baronin Klara Geymüller (1801-1872). Sie war die Tochter des Erbauers des Geymüllerschlössls. Er war nicht nur Bankier, sondern auch Gründer einer Kammgarnspinnerei in Vöslau. Durch die Einführung des mechanischen Webstuhls und den Import amerikanischer Baumwolle, wurde den heimischen Textilfabriken die wirtschaftliche Grundlage entzogen. Die Baronin wurde zur politischen Aktivistin und rief im Zuge der Märzereignisse 1848 dazu auf, Ware aus dem Ausland zu boykottieren, um die Textilproduktion – den damals wichtigsten Erwerbszweig Wiens – zu erhalten. Letztendlich fiel die Spinnerei den wirtschaftlichen Verhältnissen jedoch zum Opfer.

An dieser Stelle kommt Selbstreferenzielles ins Spiel. Auch die Künstlerin wurde in ein Familienunternehmen geboren. Ihre Großeltern und Eltern stellten Modeschmuck her. Das Unternehmen scheiterte 2003. In einer Glasvitrine finden sich Objekte aus dem Keller der Großmutter, der an das Sortiment des Unternehmens Berla erinnert. 

Postmoderne

Eine weitere Vitrine, die von der Künstlerin angefertigt wurde, ist in intensiven Primärfarben gehalten. Dadurch erinnert sie an die postmoderne Memphis-Bewegung im Italien der 1980er-Jahre. Gegründet wurde diese von einer Gruppe von Interieurdesignern, die sich dagegen auflehnten, dass die Gestaltung von Produkten allein von den Auftraggebern bestimmt wird.

Die Farben der Vitrine stimmen auf die Kuppelhalle ein, in der die Kleider aus der Kollektion Fashion is Fast ausgestellt sind. 

Anna-Sophie Berger, Geymüllerschlössl, The Years
(Con)temporary Fashion Showcase: Anna-Sophie Berger. The Years Anna-Sophie Berger, Kollektion Fashion is Fast, 2013 MAK Geymüllerschlössel © kunst-dokumentation.com/MAK

Im Schlafzimmer finden sich vier Sitzelemente, die mit Deadstock überzogen sind. Die Künstlerin hatte sie 2018 auf Anfrage für das französische Luxusmodelabel Balenciaga angefertigt. Das Modehaus war auf sie aufmerksam geworden, als sie Sitzelemente mit textilen Bezügen aus öffentlichen Verkehrsmitteln verschiedener Länder bezogen hatte. Balenciaga Kreativchef Demna Gvasalia war einer der ersten, die in Luxusmodekonzernen mit Kulturtheorien arbeiteten und der es verstand über die sozialen Medien einen Markt dafür zu schaffen. Man denke an das legendäre DHL-T-Shirt, dessen Design 1:1 übernommen wurde – und das über Nacht zum Hype wurde.

Anna-Sophie-Berger, Geymüllerschlössel, The Years
MAK Ausstellungsansicht, 2023 (Con)temporary Fashion Showcase: Anna-Sophie Berger. The Years MAK Geymüllerschlössel © kunst-dokumentation.com/MAK

In einem weiteren Raum finden sich zwei zwei rote Frauenkleidungsstücke: ein rotes Kostüm des italienischen Designers Franco Moschino und ein langes Samtkleid, das mit No Smoke Aufnähern besetzt ist. Mit letzterem thematisiert Anna-Sophie Berger „die moralisierende(n), bürgerliche(n) Konsumentin und ihre(r) selbstauferlegte(n) Abstinenz“ (Quelle: Ausstellungsbooklet). 

Das rote Kostüm von Moschino ging als Waist of Money Suit in die Modegeschichte ein. Der Schriftzug „Waist of Money“ ist goldfarben in die Taille des körperbetonten Blazers eingestickt. Zu lesen, als ein Akt der Selbstironie. Der Designer machte sich über den Konsum von Luxuskleidung lustig – und damit über einen Markt, den auch er bediente. 

Im blauen Salon

Der letzte Raum, der Blaue Salon, ist mit der Panoramatapete Hindustan (veraltete Bezeichnung für Indien) aus dem Jahr 1806 ausstaffiert. Die Tapete wurde von Zuber & Cie. (seit 1797) im Elsass angefertigt – händisch – mit geschnitzten Holzmodeln. Hindustan besteht aus 1265 Modeln, die von Zuber & Cie. durch die Jahrhunderte sorgsam verwahrt wurden und werden. Dadurch konnte die Tapete in den 1980er Jahren reproduziert werden. Das Unternehmen ist nach eigenen Angaben weltweit das letzte, das Tapeten aus Holzmodeln herstellt und stattet nach wie vor prestigeträchtige Bauten aus.  

Panoramatapeten sind eine französische Erfindung. Sie sollten es im Biedermeier ermöglichen, in den eigenen vier Wänden in aufregende Welten einzutauchen. Heute erinnert die Tapete an die Zeit der Kolonialherrschaft. Anna-Sophie Berger deckte die Möbel im Raum mit schwarzen Samthussen ab, um die Aufmerksamkeit der BesucherInnen auf die Tapete zu lenken. 

Anna-Sophie Berger, Geymüllerschlössel, The Years
MAK Ausstellungsansicht, 2023 (Con)temporary Fashion Showcase: Anna-Sophie Berger. The Years v.l.n.r.: Anna-Sophie Berger, Kleiner Überwurf, 2023; Großer Überwurf, 2023 MAK Geymüllerschlössel © kunst-dokumentation.com/MAK

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