Zukunftsorientierte digitale Technologien in der Modeindustrie

Wie digitale Technologien die Modeindustrie retten könnten

Im September 2022 interviewte mich Journalistin Irmi Wutscher für einen Beitrag In der Ö1 Sendereihe Matrix. Es ging um die Frage, wie denn Technologie die Modeindustrie fairer machen könne. Der Beitrag wurde am 16.09.2022 unter dem Titel Saubere Weste gesendet. Ich sprach mit Irmi über die Probleme der Modeindustrie und aktuelle Technologien, wie Nähroboter, Mode on-demand, 3D-Druck, virtuelle Mode, Metaverse und NFTs.

Irmi Wutscher: Zum Einstieg mal: was ist eigentlich sozusagen (in a nutshell) das „Problem“ der Modeindustrie, das man mit Digitalisierung lösen möchte?

Die Modeindustrie ist in einer Nachhaltigkeitskrise, die von den Modediskontern ausgelöst wurde. Fast Fashion Unternehmen haben Mode so schnell und billig gemacht, dass sie zum Wegwerfprodukt wurde. Am Ende wurde das Prinzip sogar von den Luxusmodekonzernen übernommen –  und das hat zu rapiden Innovationszyklen und in der Folge zu Beliebigkeit und Überproduktion geführt. 

Die Produktion von Mode war immer schon mit negativen Umweltauswirkungen verbunden. Das war uns nur durch die Produktionsauslagerung in Billiglohnländer nicht so bewusst – aus den Augen aus dem Sinn. Aber durch die Überproduktion sind zusätzlich die Müllberge gewachsen – und das gefährdet die Umwelt zusätzlich.  

I.W.: Oberflächlich erkenne ich 2 Versprechen: zum einen weniger Versand/Abfall/Rücksendungen bei „physischen“ Kleidungsstücken – und zum anderen, Mode wird überhaupt digital und gibt’s weniger in der echten Welt – kann man das so zusammenfassen?

Mit der Auslagerung der Produktion in Billiglohnländer hat die Modeindustrie lange Transportwege in Kauf genommen – und der Transport verursacht den Ausstoß von CO2-Emissionen. Im besten Fall könnte die Digitalisierung die Produktion zurück in die Absatzmärkte holen. 

Dann würden die Transportwege wegfallen und die Entwicklungsphasen könnten verkürzt werden. Wichtiger Effekt wäre, dass die Industrie dann näher an den Marktbedürfnissen wäre – und nicht so viele Produkte produzieren würde, die keine Abnehmer finden. Möglich ist es schon, aber offenbar noch nicht rentabel. 

In den USA hat die Rüstungsindustrie in die automatisierte Bekleidungsproduktion investiert – und es gibt schon einen Nähroboter, der mit hoher Geschwindigkeit einfache Shirts und Hosen fertigen kann. Aber raffinierte Kleidungsstücke, wie sie in der Mode gefragt sind, können noch nicht automatisch produziert werden. 

I.W.: Zum ersten Bereich: Idee ist es, eine Art 3D-Modell des eigenen Körpers zu haben – und so beim Bestellen im Internet weniger Rücksendungen etc. zu produzieren. Können Sie das erklären?

Es gibt schon 3D-Körperscans, mit denen Körpermaße individuell erfasst werden können. Das ist sogar schon mit einer Smartphone App möglich. Ja, das könnte die Retouren reduzieren – einfach schon, weil viele gar kein Wissen über ihre Körpermaße haben – und wie sie gemessen werden. Aber Körpermaße sind viel verschiedener, als es die Konfektionsgrößen annehmen lassen. Deshalb wären Körperscans noch sinnvoller, wenn das Produkt auch on-demand angefertigt werden würde. 

Was auch schon angewendet wird, das sind Augmented Reality Technologien, wie wir sie von Snapchat kennen. Damit kann man aber nicht mehr, als das gewünschte Produkt am eigenen Körper sehen. Man weiß also nur, ob das Kleidungsstück vom Typ her passt, aber noch nicht, ob auch die Maße stimmen. 

I.W.: Das Modell weitergedacht wäre dann: es wird nicht Kleidung vorproduziert – sondern on-demand und auf den eigenen Körper gleich angepasst. Wie könnte das aussehen – gibt’s das schon?

Adidas hat 2017 schon einen Versuch gestartet – und in einem Kaufhaus in Berlin Strickpullover auf Anfrage produziert. Im Strickbereich gibt es schon 3D-Verfahren, mit denen Produkte in einem Stück – und in kurzer Zeit – gefertigt werden können. Das funktioniert so, dass man in einer Kabine einen 3D-Bodyscan nehmen lässt – und in dieser Kabine kann man auch eine bestimmte Auswahl an Farben und Mustern auf den eigenen Körper projizieren, um sich dann für ein bestimmtes Modell zu entscheiden. Im Makershop von Adidas wurde das Wunschmodell innerhalb von zwei Stunden fertiggestellt und konnte dann abgeholt werden. Wobei die Pullover nur in Länge, Ärmellänge, Farbe und Muster individualisiert waren. Mehr Wahlmöglichkeiten hatte man nicht.  

Das Projekt wurde aber nach kurzer Zeit abgebrochen. Wahrscheinlich weil es nicht rentabel war. 

I.W.: Das zweite große Versprechen: es geht gar nicht mehr darum, in der echten Welt was anzuziehen, sondern vor allem diese schnelle „Fast Fashion“ wird überhaupt virtuell. Wie kann man sich das vorstellen? 

Dass Mode digital wird, ist noch eine Utopie, die erst von einigen wenigen Künstlern vorangetrieben wird. Einfach, weil die Prozesse noch extrem arbeitsaufwändig sind. Idee ist es, schnelllebige Mode in den digitalen Raum zu verlagern – und für das reale Leben nur mehr zeitlose und langlebige Basics zu produzieren. Das ist im Grunde keine neue Idee. Die Schweizer Künstlerin Meret Oppenheim hatte schon in den 1960er Jahren die Idee, schnelllebige Mode nur mehr aus einer speziellen Papierart anzufertigen – und physische Kleidung – aus Textilien – nur mehr zeitlos und langlebig.  

Die Idee, Mode in den digitalen Raum zu verlagern, hängt auch stark mit der Idee des Metaverse zusammen.

I.W.: Wie trägt man Mode im Metaverse?

Wenn wir uns im Metaverse in Form von Avataren interaktiv bewegen könnten, würde der gleiche Effekt auftreten, wie im realen Leben, nämlich, dass wir unseren sozialen Status mit Kleidung ausdrücken wollen. Es kann noch 10 bis 20 Jahre dauern, bis das technisch möglich ist – und manche halten das Metaverse an und für sich für eine Dystopie. Aber für die Modeindustrie wäre das Metaverse – eine perfekte Marketingmaschine, weil es – einen neuen Absatzmarkt eröffnen würde.

Die Spieleindustrie macht es schon vor. In bestimmten Videospielen können die Spieler ihre Avatare schon einkleiden, mit den sogenannten Skins. Und es gab auch schon eine Kollaboration mit dem Luxusmodelabel Balenciaga. Dabei wurden Modelle entwickelt, die die Spieler auch physisch erwerben konnten. Ob das Metaverse die Modeindustrie fairer machen würde, sei dahingestellt.

I.W.: Es gab im März 2022 die erste Metaverse Fashion Week – was war da zu sehen?

Die Besucher konnten in Form eines Avatars teilnehmen und die Avatare haben comicartig ausgesehen – wie in den Computerspielen. Als Avatar konnte man dann an Modeschauen, Partys und Konzerten teilnehmen – und einkaufen gehen. Aber die Technik hat noch nicht gut funktioniert, die Graphik war sehr einfach – und auch aus modischer Sicht war noch nicht viel geboten. Hier wollte offenbar jemand aus der Spieleindustrie der Erste sein. Fazit: Aus der Perspektive der Modeindustrie war die erste Metaverse Fashion Week etwas enttäuschend. Für eine Generation, die mit Videospielen aufgewachsen ist, war sie aber vielleicht doch aufregend. 

I.W.: Kreativität im virtuellen Raum – wo man sich ja nicht an physische Constraints halten muss – bringt das ganz neue und eigene Modeformen hervor? 

Ja, für junge Künstler und Designer – ist digitale Mode eine Möglichkeit, die Grenzen des physischen Designs zu überschreiten. Das heißt, es können Materialien und Formen verwendet werden, die im realen Leben – schon allein aufgrund der Schwerkraft – nicht möglich wären. The Fabricant, ein digitales Modehaus in den Niederlanden, arbeitet zum Beispiel mit Flammen und Wolken. So kreieren sie zum Beispiel Sneakers aus Flammen sein, aber auch einen Mantel … Ein slowenisches Designerkollektiv hat hingegen Hosen designt, die einer Fischflosse nachempfunden waren. Bis jetzt kann man diese digitalen Modelle aber erst auf ein geeignetes Foto von sich montieren lassen – und dieses Foto dann in den Sozialen Medien posten.  

I.W.: NFTs ist da ein Stichwort – non fungible Tokens auf der Blockchain … da setzen sich vor allem Luxus-Modehäuser drauf? (funktioniert das wegen Verknappung – so wie in der echten Welt? Das würde dann aber Fast Fashion widersprechen.

NFTs können für verschiedene Produkte geprägt werden. Im Unterschied zu Kryptowährungen sind sie nicht austauschbar, sondern stehen für ein bestimmtes Objekt. Dadurch eignen sie sich für den Kunstbetrieb, aber auch für die Haute Couture, die aufwändige Roben individuell anfertigt – und für die Sammlerszene, in der mit limitierten Auflagen Begehrlichkeit geschaffen wird. 

I.W.: Bei einigen NFTs gibt es das virtuelle NFT UND einen physischen Gegenstand, das heißt das NFT ist dann nur als Echtzeits-Zertifikat da… oder was ist die Funktion davon?

Junge Künstler und Designer wollen physische Mode mit digitaler Mode ersetzen. Die Modeindustrie weicht von dieser Idee ab – indem sie den zusätzlichen physischen Erwerb zumindest anbietet.  Das heißt, die neuen Technologien werden bis dato erst im traditionellen Sinne genutzt: Man kann zwar NFTs erwerben, hat aber auch die Option die NFTs gegen das physische Objekt einzutauschen. 

In der Sammlerszene und vor allem in der Sneaker-Sammlerszene funktionieren digitale Objekte schon. Zum einen, weil die Sneakersammler-Szene technisch affin ist – und zum anderen, weil Sammelobjekte sowieso selten am Körper getragen werden, um den Wert zu erhalten, wenn nicht zu steigern. Wer sich ein Sneaker NFT kauft, der hebt damit sein Prestige in seinem digitalen Netzwerk. 

I.W.: Alternative: Augmented Reality Mode – die eher im günstigeren Segment aufscheint – so wie ich den Hundenasen-Filter hab, gibt’s dann die Sonnenbrille/das Kleid für mein Reel?  

Siehe oben.

Der Beitrag erschien anlässlich der Ö1 Fashion Week – Über Mode, Schein und Sein (10.-19.09.2022): „Wie wir uns heute kleiden, reflektiert Gesellschaft, Wirtschaft, Umwelt – und ist daher alles andere als unbedeutend. Die Oberfläche zeigt mehr vom Kern, als so manchem lieb ist.

Hildegard Suntinger

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