Werden wir in Zukunft einen digitalen Kleiderschrank haben, um unseren Avatar im Metaverse gut kleiden zu können? Allgemein ist das noch schwer nachzuvollziehen. Aber die Generation Z macht es auf 3D-Plattformen schon vor. Denn das Metaverse baut auf der physischen Welt auf – und Mode eignet sich hier wie dort, die Identität und die Verfasstheit auszudrücken.
Foto oben: Paris Hilton (c) Decentraland
Das Metaverse ist eine Weiterentwicklung des Internet und soll es ermöglichen, im virtuellen Raum via Avatar zu interagieren. Vorläufer des immersives Mediums finden wir schon heute in Form von Online-3D-Plattformen. Aber viele technische Probleme sind noch ungelöst. Die volle Funktionsfähigkeit des Metaverse könnte – schon allein wegen der immens hohen Rechenleistungen – noch bis zu 20 Jahre dauern. Trotzdem gilt das Metaverse schon heute als das nächste große Ding und Experten sagen, dass es alle Geschäftsbereiche erfassen werde.
Dieser Artikel ist am 09.09.2022 in Die Presse Schaufenster erschienen.
Mode im Metaverse
Die Modeindustrie findet im Metaverse nicht nur ein neues Medium sondern auch einen neuen Markt. Denn – wie in der realen Welt – werde Mode auch in der virtuellen Welt wesentlicher Teil der Identität sein, so Dr. Giovanna Graziosi Casimiro. Sie leitete die erste Metaverse Fashion Week (MVFW), die im März 2022 auf Decentraland stattfand. Decentraland ist eine dezentrale 3D-Plattform, die eine Art Second Life bietet. Man kann dort mit einer eigenen Kryptowährung Grundstücke erwerben und sich einrichten. Unter anderem haben Philipp Plein und das Modekaufhaus Selfridges auf Decentraland schon eigene Stores errichtet. Zur Metaverse Fashion Week konnte man dort nicht nur einkaufen, sondern auch an Modeschauen und Partys teilnehmen. Mit comicartiger Graphik, unausgereifter Bedienerführung und einem überlasteten Server blieb das Nutzererlebnis jedoch noch hinter den Erwartungen des klassischen Modepublikums zurück. Trotzdem, wenn man das Metaverse unterschätze, mache man schon einen Fehler, sagt Dr. Martin Schreier, Marketing-Professor an der WU Wien: „Die Technologie-Unternehmen loten jetzt ihre Möglichkeiten aus. Was die Konsumenten wollen, das wird die Zeit erst zeigen.“
Kleidung für Gaming-Avatare
Die Leiterin der MVFW will schon Ende 2022 technische Innovationen bieten, die ein wesentlich verbessertes Nutzererlebnis ermöglichen. Auch wolle man die Grenzen des Metaverse durch hybride Veranstaltungen erweitern und physische und digitale Umgebungen miteinander verbinden. Graziosi-Casimiro würde sich auch mehr digitale Mode auf den Online-Spieleplattformen wünschen. Denn hier sitzt die die Generation Z, die als potenzielle Zielgruppe gehandelt wird und ihre Avatare schon heute in sogenannte Skins kleidet. Das bringt der Spieleindustrie weltweit jährlich geschätzt 40 Mrd. Dollar. Dass von Modedesignenden gestaltete Skins funktionieren können, zeigte schon die Zusammenarbeit zwischen dem Luxusmodelabel Balenciaga und den Machern des erfolgreichen Videospiels Fortnite. Die Skins, die dabei entstanden sind, hatten sogar physische Zwillinge, d.h. sie können von ihren Besitzern auch im realen Leben getragen werden.
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Metaverse Natives
Über Non Fungible Tokens (NFTs) wurde der Handel mit digitalen Modeprodukten auch unabhängig von Online-Spieleplattformen möglich. NFTs basieren wie Kryptowährungen auf Blockchain-Technologie, sind aber im Unterschied zu diesen einmalig und nicht austauschbar. Das bedeutet, dass jedes NFT eindeutig einem digitalen oder physischen Produkt zuzuordnen ist und die Eigentumsverhältnisse fälschungssicher dokumentiert sind. Wobei NFTs für digitale Produkte nicht die Bild- oder Audiodatei selbst enthalten, sondern nur einen Link zum Server, auf dem der Inhalt gespeichert ist. Ob die Lizenz nur einfach oder mehrfach vergeben wird, entscheidet der Hersteller. NFTs können für verschiedenste Produkte geprägt werden. Zum Beispiel hat Gucci 2021 ein NFT für das Video Aria geprägt, das online über Christie‘s um 25.000 USD versteigert wurde. Im Metaverse gegründete Labels melden immer wieder Rekordzahlen im Verkauf von digitalen Sneakers. Das Label RTFKT (sprich artifact) verkaufte im Frühjahr 2021 innerhalb von sieben Minuten Token im Wert von 3 Mio. Dollar. Inhaber dieser NFTs können die digitalen Produkte im Metaverse tragen. Digitale Sneakers sprechen vor allem Sammler an, die aufgrund der limitierten Auflagen auf Wertsteigerung und einen profitablen Wiederverkauf hoffen.
Selbstausdruck und Abgrenzung
Für Menschen jenseits der 40 sei es nicht nachvollziehbar, warum Menschen digitale Produkte kaufen und es sei auch noch nicht hinreichend erforscht, erklärt Prof. Schreier. Bei Modeprodukten sei allerdings naheliegend, dass es um Selbstausdruck gehe. Darüber hinaus gehe es um Bedürfnisse wie Zugehörigkeit und Abgrenzung, die nicht nur in den Alterskohorten, sondern auch zwischen den Generationen ausgetragen werden. Zitat: „Wenn die technikaffine Subkultur auf das Metaverse setzt und die ältere Generation das nicht versteht, dann kann sich die Subkultur damit abgrenzen. Brands, die verstehen worum es geht und in dieser Subkultur mitmischen können, sind dann potenziell cool.“ Für Unternehmen gibt es aber auch monetäre Gründe, das Metaverse zu erobern. Denn laut US-Finanzdienstleister Morgan Stanley könnten Metaverse-Gaming und NFTs bis 2030 zehn Prozent des Marktes für Luxusgüter ausmachen. Das würde einen Umsatz von 50 Milliarden Euro bedeuten.
Metaluxury
Derzeit sind es im Metaverse geborene Labels wie RTFKT, die Modelabels den authentischen Einstieg ins Metaverse ermöglichen. Meist sind es Kollaborationen, in denen es um Sammlerobjekte wie Sneakers oder Handtaschen geht. Das bildet aber nur einen kleinen Teil des Modebusiness ab. Experten sehen im Metaverse eine Erweiterung des E-Commerce und setzen sich bereits mit der Definition von Metaluxury auseinander. Der Pariser Luxusmodeberater Al Dente hat auf einer 3D-Plattform schon ein Anwesen errichtet, in dem sich Markenverantwortliche umsehen können. Erste Designstrategien für das Metaverse kommen allerdings erst von jungen Modeschaffenden. Ihre Kollektionen sind size inclusive, genderneutral und erschwinglich. Mit genderneutralen Kreationen beziehen sich die Designenden auf das Manifest für Cyborgs, das die US-amerikanische Feministin und Philosophin Donna Harraway 1985 veröffentlichte. Harraway sieht Cyborgs als eine Art utopische Fiktion, mit der Gendergrenzen überwunden werden können. Denn in naturalistischen Diskursen gelte der Körper als unveränderlich. Aber wenn sich menschliche und maschinelle Aspekte im Auftritt im virtuellen Raum zunehmend vermischen, dann seien Menschen nicht mehr dem Geschlecht verpflichtet, mit dem sie geboren wurden.
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Darüber hinaus setzen sich junge Modeschaffende auch über physische Grenzen des Designs weg. Letzteres zeigt sich vor allem in Materialien, die z.B. auch Feuer, Wolken oder Gras darstellen können. Dahinter steckt die Idee den schnelllebigen Teil der Mode ins Metaverse zu verlagern, und in der physischen Welt nur mehr langlebige Basics zu tragen. Das würde den Modekonsum nachhaltiger machen. Dress X, ein Anbieter digitaler Mode arbeitet schon nach diesem Schema und hat gerade eine Kooperation mit dem Pariser Modekaufhaus Printemps laufen. Kundinnen können die Modelle via Augmented Reality in den Umkleidekabinen probieren – und später auf Fotos in den Sozialen Medien tragen.
Weniger disruptiv die Idee mit den digital first Modellen. Das sind digitale Prototypen, die nur dann produziert werden, wenn sie von der Community für gut befunden werden. Auch das wäre nachhaltig, weil es Überproduktion reduzieren könnte. Ein Konzept, das der US-Modediskonter Forever21 auf der Online-Spieleplattform Roblox schon praktiziert.
Neue Geschäftsmodelle
Wobei es am Ende wohl mehr als nur ein Metaverse geben wird. Schon allein, weil verschiedene Unternehmen mit unterschiedlichen Konzepten daran arbeiten. Laut Dr. Graziosi-Casimiro wird es auch mehrere Metaverse Fashion Weeks geben – nicht nur auf Decentraland, sondern auch auf anderen Online- 3D-Plattformen. Zitat: „Je mehr Menschen es verstehen und sich damit auseinandersetzen, desto mehr Metaverse-Unternehmen werden entstehen und neue Geschäftsmodelle entwickeln, die die virtuelle Parallelwelt näher rücken lassen.“
Bevor es soweit ist, muss das Metaverse aber noch umweltfreundlich werden. Die erforderliche Rechenleistung erfordert einen enorm hohen Energieverbrauch und die Energie wird – je nach Standort der Hardware – fossil erzeugt. Außerdem braucht es noch Regularien, die Probleme wie Datenrecht und Fehlinformation lösen.
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Ich bin in Secondlife unterwegs und ich liebe mein Inventory, ich wünschte, ich könnte auch im RL so viel Zeugs einfach in Foldern aufbewahren 😀
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Ich fand die zweite FahionWeek im Metaverse in diesem Jahr etwas enttäuschend. Aber den aktuellen Showroom von BOSS finde ich sehr gelungen. Auf der zweiten Dachterrasse habe ich den Sonnenuntergang und den Sound einfach genossen.
Ich freue mich auf die dritte FahionWeek im Metaverse.
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