Automatisierte Nähprozesse

Nähroboter haben Probleme mit der Flexibilität von Stoffen.

Lt. Sewbo Inc.-Gründer Jonathan Zornow, ist die Automatisierung des Nähprozesses bisher an der mangelnden Feinmotorik des Roboters gescheitert. Er selbst arbeitet mit einem Trick. Er versteift den Stoff temporär mit einer Substanz, so dass dieser problemlos vom Roboter gehandhabt werden kann. Zornows Nähroboter arbeitet auf einer Haushaltsnähmaschine.

Autorin: Hildegard Suntinger

Foto oben: Digitale Textile Micro Factory (c) Messe Frankfurt

Temporär versteifte Stoffteile können vom Roboter wie Papierblätter aufgehoben, unter dem Nähmaschinenfuß positioniert und durch den Nähprozess befördert werden. Auf diese Art konnte Zornow seinem Roboter immerhin ein T-Shirt entlocken. Der junge Forscher verwendet eine gewöhnliche Haushaltsnähmaschine. Marktreif ist die Innovation noch nicht – aber sie veranschaulicht das Hauptproblem der Automatisierung des Nähprozesses – die mangelnde Feinmotorik des Roboters.

Die Automatisierung löst viele Probleme

Sewbo war und ist nicht allein am Markt. Es gibt noch mehr amerikanische Startups, die an automatisierten Fertigungsprozessen arbeiten (Quelle: apparelnews.net). Sie wollen die Produktion nach Amerika zurückholen, um die unfaire Produktion in den Billiglohnländern zu beenden.

Im Vordergrund stehen allerdings ökonomische Interessen wie noch geringere Produktionskosten, das Ende der Handelszölle und die enorme Vereinfachung der Logistik. Außerdem ermöglicht die lokale Produktion die kurzfristige Reaktion auf Markttrends.

Das Feindbild des Roboters als Jobkiller bleibt nicht unerwähnt, wird aber mit der Aussicht auf hochqualifizierte Arbeitsplätze entkräftet (vgl.: Andrew Asch, 20.04.2017: Fashion Robot: Fashion’s Robotic Future. Auf: apparalnews.net).

Digitale Sorgfalt

Eine zentrale Rolle in der Debatte spielt das Startup Softwear Automation Inc. Dieses erhielt 2012 von der DARPA, einer Abteilung der US-Verteidigungsforschungs- und –entwicklungsagentur einen Forschungsauftrag. Im Rahmen dieses Auftrags fand das Forscherteam eine Lösung für die mangelnde Feinmotorik des Roboters, die sich in Stoffverzug äußerte.

Automatisch präzise Nähte durch Bilderkennung

Die Software wird auf Basis von High-Speed-Fotografie manipuliert. Die Bildinformationen ermöglichen die Ortung einzelner Fäden im Stoff. Die Nahtposition kann aufgrund der Fadenanzahl ermittelt werden. Die exakte Messung jedes Nadelstichs lässt den Obertransportfuß konstant kleine Korrekturen vornehmen (vgl.: 28.05, 2015: Made to Measure. Auf: The Economist). Sewbot, so der Name des Roboters, ist auf einzelne Modell- und Stofftypen spezialisiert.

In 22 Sekunden ein T-Shirt vom Roboter

Palaniswamy Rajan, CEO und Vorstand des Startup vergleicht das Produktionsmodell mit jenem der Automobilindustrie. D.h. Arbeiter bedienen Maschinen, die ein Kleidungsstück herstellen. Wie das Unternehmen mitteilt, soll Sewbot den Prozess vom Ergreifen des Stoffballens bis zur Fertigstellung des Kleidungsstückes ohne menschliche Hilfe bewältigen. Das Nähen eines T-Shirts soll nicht mehr als 22 Sekunden in Anspruch nehmen.

 

Die Industrie 4.0 skalierbar machen

Auch zur abgelaufenen Texprocess in Frankfurt wurde die Rückkehr der Produktion aus den Billiglohnländern diskutiert. Die Argumentation unterschied sich kaum von jener in USA. Allerdings sah man das Thema Automatisierung wesentlich differenzierter.

Teilprozesse automatisieren

Highlight der Fachmesse war die ›Digital Textile Micro Factory‹ (DTMF), in der Teilprozesse automatisiert waren, der Stoff aber immer noch von menschlicher Hand durch die Maschine geführt wurde. Das Modell zielt auf einen hochflexiblen Prozess ab und ist auf die verschiedensten Stoff- und Modelltypen anzuwenden, betont Christian Kaiser von ›Deutsche Institute für Textil und Faserforschung‹, der die DTMF leitete.

Er möchte die Bedeutung der Automation nicht unterschätzen, weist aber auf die hohen Investitionskosten und die unausgereifte Technologie hin. Die Handhabung von leichten, flexiblen Stoffen sei noch nicht gewährleistet.

Fließende und flexible Arbeitsabläufe

Sein Ansatz ist es, die Industrie 4.0 skalierbar zu machen und den bisweilen analog laufenden Arbeitsablauf zu digitalisieren. Den entscheidenden Vorteil der DTMF sieht er in der prozessspezifischen Nähmaschinenkonfiguration. Diese wird nicht mehr analog sondern digital durchgeführt und kann auf Knopfdruck von einem System ins nächste wechseln. Dadurch seien fließende Arbeitsabläufe gesichert. Darüberhinaus sei das System netzwerktauglich und kann auf Kleinserien genauso wie auf maximal 1500 Maschinen angewendet werden.

 

Am Problem vorbei?

Inwieweit die neuen Technologien das Dilemma der Modeindustrie lösen werden, ist noch nicht absehbar. Am Höhepunkt der ›see now buy now‹-Debatte kritisierte die Autorin Robin Givhan in einem Online-Artikel der Washington Post, dass die Maßnahme am wirklichen Problem vorbeiziele. Die Modehäuser sollten mehr darüber nachdenken, was sie verkaufen, als wie sie es verkaufen (15.02.2016: The fashion industry wants to disrupt the runway. It’s missing the real problem).

Nachhaltigkeit vs. Innovationstempo

Diese Kritik lässt sich auch auf die Produktion übertragen: Die Modeindustrie ist die zweitgrößte Industrie wenn es um Umweltschädigung geht. Zusätzlich hat das rapide Tempo der Innovationszyklen zu einer Wegwerfmentalität geführt. Das System der permanenten Innovation ist aus der Perspektive der Nachhaltigkeit in Frage zu stellen. Eine Verlangsamung würde die Industrie aber um den ständigen Reiz des Neuen beschneiden.

 Biologisch abbaubare Stoffe für die Fast Fashion

Viele Konsumenten leben mit Mode ihren Wunsch nach individuellem Ausdruck, Kreativität und Selbstoptimierung aus. Dieses hedonistische Bekleidungsverhalten ist irreversibel – zumindest für das Gros der Konsumenten. Die Vereinbarkeit von Nachhaltigkeit und kurzfristigen Modelaunen könnte mittels recyclefähigen und biologisch abbaubaren Stoffen erreichbar werden.

 Individualisierung durch Automatisierung

Die Überproduktion ist nicht zuletzt auf die Kluft zwischen Industrie und Verbraucher zurückzuführen, die sich im Sog der Globalisierung vergrößert hat. Abhilfe sollen Kundendaten schaffen und die Personalisierung von Produkten. Beispiel dafür ist das Adidas ›Knit for you‹-Projekt. Es erlaubt dem Kunden, das Design seines Pullis mitzubestimmen. Durch die Fertigung auf Anfrage entsteht keine Überproduktion sondern Kundennähe und ein Datenpool, der die Kundenwünsche transparenter macht.

Hildegard Suntinger

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1 Kommentar zu „Automatisierte Nähprozesse“

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