Der belgische Modedesigner Dries van Noten über seine Faszination für andere Kulturen und Dresscodes:
Dries van Noten wird wegen der subtilen Umsetzung multikultureller Anleihen geschätzt. Außerdem sei er einer der wenigen Modedesigner, dessen Kleider nicht altern und auch noch nach Jahren tragbar seien. »Kleider wie Erbstücke« so formuliert es van Noten selbst. Im Exklusiv-Interview spricht der Designer über seinen Kreationsprozess und seine Kollektion Frühling/Sommer 2009:
Foto oben: Der belgische Modedesigner Dries Stephan van Fleteren
Autorin: Hildegard Suntinger
Textil Zeitung: In Wien ist die Kollektion Dries van Noten in der Boutique Firis erhältlich. Als ich unlängst dort war, sagte mir eine Kundin, dass sie an ihren Modellen den individuellen Stil mag, der ihr ermöglicht, Persönlichkeit zu zeigen.
Dries van Noten: Ein Kompliment, das sicher viele Designer gerne hören würden. Gutes Design ist an der Authentizität und Individualität eines persönlichen Stils zu erkennen. Meine Designs sind nicht an einen Typ von Frau gerichtet. Ich rege viele Möglichkeiten an, ein Kleidungsstück zu tragen aber ich gebe nichts vor. Mit meinen Kleidungsstücken kann jeder seinen eigenen Stil kreieren, indem er sie mit seiner vorhandenen Garderobe oder anderen Labels kombiniert.
TZ: Die Kundin, die ich vorhin erwähnte, sprach auch von Ihren einzigartigen Lösungen in Schnitttechnik und Verarbeitung …
DvN: Eine Fertigkeit wird über die Jahre ausgeprägt. Wir designen seit mehr als zwanzig Jahren und konnten in dieser Zeit unsere Fähigkeiten und Techniken weiterentwickeln und vertiefen – mit immer höheren Graden möglicher Präzision und Perfektion.
TZ: Sie arbeiten mit multikulturellen Anleihen. Wie kommt ein belgischer Designer zu dieser Sichtweise?
DvN: Belgien hatte diese Idee von ‚Experiment’ schon immer. Ich meine damit eine künstlerische Perspektive, die auf historischen und geographischen Bezügen aufbaut.
TZ: Was fasziniert Sie an fremden Kulturen?
DvN: Ich habe von Anfang an Elemente aus aller Welt verwendet. Mich faszinieren andere Kulturen und andere Dresscodes. Manche von meinen Kollektionen sind ethnisch inspiriert. Aber sie bleiben das Ergebnis meiner Vorstellung – eine Interpretation.
TZ: In welchem Rahmen setzen Sie diese multikulturellen Inspirationen um?
DvN: Ich habe eine wirkliche Leidenschaft für Stoffe. Wie sich ein Stoffe anfühlt und wie er sich in Falten legt, inspiriert mic und liefert einen enormen Stimulus für meine kreative Sichtweise. Stoffe sind essnziell, aber der Ausgangspunkt für die einzelnen Kollektionen variiert: Die Konfrontation mit einem Gemälde oder die Arbeit eines Künstlers eines anderen Mediums, der plötzliche Blick auf einen alltäglichen Gegenstand aus einer neuen Perspektive, eine Photographie in einem Buch oder Magazin, eine Passage in einem geliebten Buch oder Magazin, Musik – all das kann der Funke sein, der die Flamme des Kreationsprozesses entzündet. Dieser Funke ist wahrnehmbar, aber man kann ihn nicht provozieren oder darüber entscheiden.
TZ: Wenn Sie an ihre gegenwärtige Kollektion denken, wie haben Sie diese Inspirationen realisiert?
DvN: Ich war geleitet von Verhüllungen und Nacktheit sowie Einfachheit und Klarheit moderner Kunst. Die Energie dieses optischen Ausdrucks wollte ich mit Wärme und Opulenz verbinden. Ich habe die Klarheit von maskulinen Stoffen – wie Baumwollpopeline – in Kontrast zu Seide und Brokat gesetzt und ein weißes Männerhemd durch unglaublich detaillierte Goldstickerei akzentuiert. Die Linien der Kollektion für Frühling/Sommer 2009 sind pur – inspiriert von Männergarderobe und realisiert mit der für die Damencouture typischen Sensibilität für Schnitt und Handwerk. Ich habe Drucke durch ein anderes Prisma angesehen. Die Silhouetten sind vertikal und horizontal gezeichnet – mit graphischen schwarz/weiß Prints oder mit soften Blöcken von Pastells.
TZ: Sie stellen auch die Stoffe und Farben her, die Sie für Ihre Kleidungsstücke benutzen. Was erwarten Sie sich von Stoffen?
DvN: Manche denken, dass es verrückt ist, so viele Stoffe exklusiv für eine Prèt-a-porter Kollektion zu entwickeln. Für mich ist es eine Notwendigkeit wie Sauerstoff – und ein Fundament für meinen kreativen Ausdruck. Die besten Stoffe sind die, die perfekt auf die Anforderungen in Design, Funktion und Tragbarkeit reagieren. Wie ich bereits sagte, Stoffe sind meine größte Leidenschaft. Es ist aufregend, Stoffe zu entwickeln.
TZ: Was denken Sie über die österreichische Tracht, das Dirndl und die Lederhose? Sehen Sie darin etwas Zeitgemäßes?
DvN: Ja, das kann sehr zeitgemäß aussehen – abhängig vom speziellen Zusammenwirken von Person und Situation.
TZ: Sie sind in eine Schneider- und Modehandelsfamilie geboren. Gibt es eine Weisheit, die eine Generation an die nächste weitergibt? Mit anderen Worten: Hilft traditionelles Wissen in der Modewelt oder reicht es, einfach immer wieder Neues zu produzieren?
DvN: Meine Karriereentscheidung erfolgte ganz natürlich, geradezu osmotisch. Meine liebende und helfende Familie hat mich ermuntert, so früh und in so vielen Lebensbereichen wie möglich, meine eigene Position zu finden. Von meinem Vater und meinem Großvater habe ich eine Sensibilität für die Traditionen und Rituale der Kleidermacherei geerbt. Beide haben mir Stoffe nahegebracht, mich für Mode begeistert und mir einen subjektiven Sinn für das ‚Schöne’ vermittelt. Später habe ich meine Eltern bei ihren Orderreisen nach Paris und Mailand begleitet. Das war der Funke für meine Liebe zu Mode und Bekleidung.
Das Neue baut auf dem Alten auf – entweder indem es dieses vereinnahmt oder darauf reagiert. Neu um des Neuen willen ist oft inhaltsleer und seelenlos.
TZ: Danke für ds Gespräch.
Über Dries van Noten:
Dries van Noten wurde am 12. Mai 1958 in Antwerpen geboren. 1976 begann er ein Studium in der Modeklasse der ‚Royal Academy of Fine Art’ in Antwerpen. 1986 launchte er seine erste Kollektion, die aus Blazern, Hemden und Hosen bestand. Als er diese in London als einer der legendären Antwert Six präsentierte, wurde er schlagartig berühmt – gemeinsam mit Ann Demeulemeester, Dirk van Saene, Marina Yee und Walter van Beirendonck.
Renommierte Modehändler wie Barneys in New York, Pauw in Amsterdam und Whistles in London platzierten Orders. 1989 gründete er sein erstes Geschäft, ‚Het Modepaleis’ in Antwerpen, das bis heute Flagship Store ist. Seit 1993 zeigt er seine Kollektionen in Paris.
Im Juli 2000 zog er in ein altes sechsstöckiges Industriegebäude auf einem Gelände mit 60.000 m2 Flläche am Godefriduskaai in Antwerpen, um Design, Marketing, Produktion, Rechnungswesen, Vertrieb, Archiv und Showroom unter einem Dach zu vereinen.
Dries von Noten war von Anfang an finanziell unabhängig. Heute vertreibt er pro Saison 100.000 Teile weltweit. Anlässlich seiner 50. Modeschau 2004 erschien das Buch: ‚Dries van Noten 01-50’.
Dries van Noten hat sein Boutiquen-Netzwerk auf Paris, Hong Kong, Tokyo und Seoul ausgedehnt.
Nachtrag:
Im Juni 2018 übernahm das spanische Familienunternehmen Puig die Mehrheit von Dries van Noten. Der Modedesigner bleibt Kreativdirektor und wurde zum Vorstandsvorsitzenden ernannt. Das belgische Label wird auf einen Wert von 81 Mio. Euro geschätzt. Puig ist ein in dritter Generation geführter Konzern in Barcelona. Dries van Noten wird neben Modelabels wie Carolina Herrera und Jean Paul Gaultier geführt. Weiters hat Puig die Parfümmarke Penhaligon’s und Lizenzen für Prada und Christian Louboutin im Portfolio.
[…] Auch interessant: Dries van Noten: Andere Kulturen zitieren […]
LikeLike