Was ist Modest Fashion?

Inklusion einer marginalisierten Zielgruppe:

Modest-Fashion entstand in den frühen 1990er Jahren in orthodoxen jüdischen, christlichen und muslimischen Zirkeln. Ziel war es, orthodoxen Kleiderordnungen mit Modetrends zu vereinbaren. Mittlerweile zur globalen Bewegung gewachsen, versteht sich Modest Fashion interkulturell und adressiert modest fühlende Frauen, die es in jeder Religionsgemeinschaft gebe – so der Konsens. Die große Medienaufmerksamkeit kam erst ab 2013 – als renommierte westliche Designer Halal Couture und Ramadan Collections launchten.

Autorin: Hildegard Suntinger

Foto oben: Modest Fashion aus der Kollektion der Wiener Modedesignerin Imen Bousnina. (c) Asma Aiad

“Modesty is about an attitude, it is all-inclusive to any woman from any faith, background or age who chooses to take a stand in how they present themselves.“ Simi Polonsky0, Mitbegründerin des jüdisch orthodoxen Labels TheFrockNYC 

Ab 2013 launchten große westliche Designhäuser wie Donna Karan, Tommy Hilfiger und Dolce & Gabbana Halal Couture und Ramadan Collections. Bald schlossen sich auch Fast Fashion-Konzerne wie Zara, Uniqlo und Mango der Bewegung an. Modest Fashion war im Mainstream angekommen. Das Bekenntnis der westlichen Modeindustrie zur Diversität war von einem Trendwandel begünstigt. Die zuvor engen und freizügigen Silhouetten wurden weit und verhüllend.

Modest Fashion-Institutionen sind muslimisch

Von der großen Medienaufmerksamkeit ermutigt, formierten sich die ersten globalen Modest Fashion-Institutionen. 2015 wurde das International Fashion and Design Council (IFDC) gegründet – mit dem Ziel  muslimisches Design zu promoten. Mittlerweile hat die Vereinigung weltweit zehn Niederlassungen in relevanten Märkten – auch in der Modenation Italien. Unter den Mitgliedern sind zwölf Influencer, die das Image von Modest Fashion in den sozialen Medien prägen. Zu den Services zählt u.a. eine Studie zum globalen Modest-Markt. Diese gibt Einblick in den Lebensstil junger moderner muslimischer Frauen und zeigt u.a., dass diese ihre Freizeit mit Shopping (38%) und Gym (19%) verbringen – und unter den Vorurteilen der westlichen Gesellschaft gegenüber modest gekleideten Frauen leiden (9%).

Eine weitere muslimische Plattform für Modest Fashion wurde 2016 mit der Modest Fashion Week geschaffen. Die Veranstaltung wird an wechselnden Orten abgehalten. Ziel ist es, muslimischen Designern eine globale Öffentlichkeit zu bieten.

Mit The Modist, einem Online Luxus-Modeshop, entstand 2017 ein Hybrid – geeignete Modelle westlicher Designer werden nach Modest Fashion-Kriterien modifiziert. Die Gründerin und CEO Ghizlan Guenez war zuvor im Finanzbusiness und agiert über Niederlassungen in Dubai und London. Sie führt Prêt-à-Porter von Designern wie Mary Katrantzou und Christopher Kane und spricht eine junge, aufgeschlossene Klientel an.

Die modesttaugliche Adaption regulärer Modelle ist bereits seit Jahrzehnten in der verschwiegenen Pariser Haute Couture üblich – die auch viele muslimische Frauen zu ihren Kundinnen zählt.

Die größten Märkte für Modest Fashion

Die größten Märkte für Modest Fashion sind die Türkei und Indonesien. Es ist also kein Zufall, dass die Gründerinnen der Modest Fashion Week (MFW), Franca Soeira (ID) und Ozlem Sahin (TR) aus ebendiesen Ländern kommen. In einem Interview im arabischen Online-Medium The National1 sagt Sahin: „(…) Turkey is the biggest modest market, with 60 per cent of women wearing hijab, and Indonesia has the world’s largest Muslim population [about 225 million] (…).“

Ziel der Modest Fashion Week ist es, den jungen Modest-Wear Designern eine globale Öffentlichkeit zu geben – und den modeinteressierten Frauen mehr Auswahl. Anders als die traditionelle Fashion Week, deren Standorte fix sind, wechselt die MFW zwischen verschiedenen Orten. Aber auch Modest Fashion hat ihre Metropolen. Laut Sahin sind dies Istanbul, Dubai und Jakarta.

VLogger Ruba Zai (c) alexvandersteen
VLogger Ruba Zai (c) alexvandersteen

Foto oben: Die modischen Muslima werden Hijabista und Mipsterz genannt. Ruba Zai ist eine bekannte VLoggerin mit 1,2 Mio. Followern auf Instagram.

 

Zur muslimischen Kleiderordnung

Modest Fashion bezeichnet den Trend zu körperverhüllender Kleidung. Deren genaue Definition variiert nach Ländern und Kulturen. Daraus resultiert eine universelle Kleiderordnung, die jedoch nicht anything goes bedeutet. In dem oben erwähnten arabischen Magazin bieten die Gründerinnen der MFW Orientierung in der Frage nach der Modest Kleiderordnung:

“Right now there is a tendency for modest fashion to want to be in mainstream fashion. Which is good, but we also need our own platform, to showcase the right identity. So for us, design guidelines are important. For example, we don’t allow sleeveless tops with the hijab. We don’t like to put leggings as trousers; designers can use them, but must put them under something. Also, we say no to showing the midriff. Why? Because otherwise it is confusing. There are events calling themselves modest, yet showing midriffs, and the media contacts me and asks: ‘Is this modest fashion?’ And I tell them, of course not. So we have to do this the right way, or people will think it is just a trend,” Franca Soeira.

Zur abgelaufenen MFW in Jakarta im Juli 2018 waren auch Modelle mit Taille und Models mit Baseball-Cap zu sehen. Das liegt an der interkulturellen Orientierung der Institution – und Beispielen wie dem Online-Shop The Modist, der eine weniger orthodoxe Kleiderordnung mit modifizierten Modellen westlicher Designer favorisiert.

Wirtschaftliche und politische Wirkung

Modest Fashion ist ein globales Phänomen, das die wirtschaftliche und politische Wirkung von Mode aufzeigt. Das Segment hat den Zugang in die globale Modeszene über die wirtschaftliche Macht seiner Zielgruppe bekommen. Einschlägige Vereinigungen und Marketingagenturen argumentieren mit der enormen Kaufkraft der muslimischen Bevölkerung. Laut dem globalen islamischen Wirtschaftsbericht Thomson Reuters Global Economy Report (2017/18) gab die weltweit 1,6 Mrd. umfassende muslimische Population 2016 254 Mrd. Dollar für Schuhe und Kleidung aus – bis 2022 sollen es 373 Mrd. sein. Diese Marktvolumen ist mit jenem in den US zu vergleichen, das 2018 an die 353 Mrd. Dollar erreichen soll (Quelle: Euromonitor).

Die Betroffenen wollen nicht nur als Zielgruppe akzeptiert werden, sondern auch positive Wahrnehmung und Inklusion im Wirtschaftsleben.

Laut Pew Research Center wird die muslimische Bevölkerung bis 2050 global auf 2,8 Mrd. gewachsen sein – das ist mehr als ein Viertel der Weltbevölkerung.

Charakteristisch für die muslimische Bevölkerung ist weiters deren Jugendlichkeit. Schon heute ist ein Drittel aller Muslime unter Fünfzehn und zwei Drittel unter Dreißig.

Die junge muslimische Generation unterscheide sich in ihren Einstellungen und beruflichen Ambitionen nicht von den westlichen Millennials, schreibt Shelina Janmohamed in ihrem Buch Generation M3. Wegen des Kopftuchs erleben muslimische Migrantinnen die Berufswelt jedoch ablehnend. Deren Annäherung an westliche Kleidungsmoden ist emanzipatorisch zu werten.

Anschluss an die westliche Wirtschaft

Emanzipatorische Tendenzen zeigen sich auch in Dubai, das sich zur muslimischen Modemetropole entwickelt. Laut einem Bericht auf der Website Gaffer Deluxe2, dem Modeblog der HTW Berlin, kommt ein Drittel der weltweiten Couture-Kunden aus dem Wüstenstaat. Dubai hat die höchste Dichte an Milliardären weltweit. Die Weltoffenheit, die Dubai neuerdings zeigt, steht allerdings mit versiegenden Ölquellen in Verbindung – und der Notwendigkeit an die Weltwirtschaft anzuschließen. Neue Wirtschaftszweige sollen in den Bereichen Handel, Finanzen und Tourismus geschaffen werden.

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Muslimische Millennials (c) wander.network

Muslimische Millennials

Ein einjähriger Aufenthalt in Dubai war es auch, der Shelina Janmohamed zu ihrem Buch inspirierte. Die Tochter muslimischer Einwanderer wurde in London geboren und ist Vize-Direktorin von Ogilvy Noor, einer Markenagentur, die dem muslimischen Markt gewidmet ist.

Eine ihrer zentralen Thesen: Die junge muslimische Generation denkt, dass moderner Lebensstil und Glaube vereinbar ist. Im Zusammenhang mit 9/11 fügt sie hinzu, dass nicht alle jungen Muslime die von ihr beschriebene Weltoffenheit aufweisen und dass es  auch orthodoxe Tendenzen gebe.

Eine weitere These: Muslimische Frauen sind zunehmend selbstbestimmt und tragen den Hijab gerne. Auch dies ist zu relativieren. In Teheran, wo die Frauen 1979 gegen die Einführung der ‚Zwangsverschleierung’ auf die Straße gingen, sind die Proteste gegen die Kopftuchpflicht erst kürzlich wieder heftig entflammt.

Die Begeisterung für den Hijab in der jungen Generation geht so weit, dass sie auch Töchter von Müttern ergreift, die sich nicht verhüllen, weiß Modest Fashion-Expertin Reina Lewis4. Diese Mütter sind in einem anderen gesellschaftlichen Klima aufgewachsen und müssen ihre Töchter ermahnen, diese Entscheidung zu akzeptieren.

Zentral in der glaubensüberschreitenden Modest Fashion-Bewegung ist die Verteidung des Rechts der Frau zu entscheiden, ob und wie sie sich verhüllt. Reina Lewis: (…) this generation of women (and now their daughters) assert religious rights as human rights: calling on their heritage of civil rights and feminism, they support individual women’s choices about if and how to cover – or not to cover.“4

Empowerment durch die Medienöffentlichkeit

Einen detaillierten Einblick in die muslimische Mode bietet die Ausstellung  Contemporary Muslim Fashions, die noch bis 9. Januar 2019 im de Young Museum in San Francisco läuft. Das gleichnamige Buch zur Ausstellung erschien im Prestel Verlag4 .

Reina Lewis in ihrer Einführung: „Fashion imagery changed, too. In 2005, several modest fashion brands and print magazines avoided showing faces or the human form at all in deference to some interpretations of Islamic teaching. (…) Ten years later, Muslim models who wear the headscarf, or hijab, were starring in ad campaigns and on the catwalk.“

 

Modest Fashion in Österreich

Die Einstellung der ‚Generation M‘ zeigt sich auch bei muslimischen Millennials in Wien. Imen Bousnina (24) , Absolventin der Deutsche Pop Akademie, präsentierte ihre Kollektion schon zweimal zur Modest Fashion Week. Naomi Afia Brenya Günes-Schneider (25) studiert islamische Theologie in Wien und absolvierte das Kolleg für Mode/Design/Textil an der Herbststraße. Derzeit arbeitet sie an einer Kollektion, in die nachhaltige, interkulturelle und inklusive Aspekte einfließen sollen.

Modelle arrivierter österreichischer Designer – von Petar Petrov und dem in London niedergelassenen Peter Pilotto – sind vereinzelt im Luxus Onlineshop The Modist zu sehen.

0 Gander, Kashmira (2017): Modest Fashion: How covering up became mainstream. Abgerufen am 2. Oktober 2018.

1 Maisey, Sarah (2017): Franka Soeria and Özlem Sahin, duo behind Modest Fashion Week on their vision, emerging designers and a global shift. Abgerufen am 18. Juli 2018

2 Bienroth, E.H./Loose, C. (2016): Halal Couture – Über Mode und Islam. Abgerufen am 26. Juli 2018

3 Janmohamed, S. (2016): Generation M – Young Muslims are changing the World. IB Taurus.

4 D’Alessandro, J./Lewis, R. (Hsg.) (2018): Contemporary Muslim Fashions. New York: Delmonico Books, Prestel.

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1 Kommentar zu „Was ist Modest Fashion?“

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