Jennifer Milleder: Kleidungsstücke, die eine Botschaft vermitteln und doch tragbar sind

Narratives Modedesign – die Modedesignerin Jennifer Milleder erzählt gern Geschichten und kreiert Charaktere. Zu ihrer aktuellen Kollektion Rabbits n‘ Roses (2023/24) inspirierten sie etwa der White Rabbit und die Queen of Hearts aus dem Roman Alice in Wonderland. Sie gibt den Charakteren etwas Greifbares, Zeitgenössisches und auch Starkes. Das macht sie unter anderem mit Schnittkonstruktionen. Ikonisch – ihre voluminösen Schultern und Ärmel. Ein Portrait, der aufstrebenden Modedesignerin:

Jennifer Milleder brachte es gleich nach ihrem Abschluss an der Modeklasse der Universität für Angewandte Kunst in Wien zu signifikanter Medienaufmerksamkeit. Ihre ersten Erfolge feierte sie in Prag und in italienischen Medien. So zeigte sie, dass der Standort zweitrangig ist und das kreative Potenzial entscheidend. Und das obwohl die Präsentation ihrer Diplomkollektion pandemiebedingt entfallen musste. Was ihr half, waren die Kontakte zu Fotografen, Stylisten und Journalisten, die sie schon während des Studiums geknüpft hatte, „um den Übergang vom Studium zum eigenen Label fließend zu machen“, wie sie sagt.

Modedesignerin JENNIFER MILLEDER, Kollektion Rabbits and Roses 2023 (c) Elsa Okazaki
Modedesignerin Jennifer Milleder, Kollektion Rabbits n‘ Roses 2023; Model: Schauspielerin Thea Ehre (c) Elsa Okazaki

Präsentationen in Prag

An der Angewandten studierte sie bei Hussein ChalayanLuke und Lucie Meier sowie Grace Wales Bonner. Die Diplom-Kollektion entstand bei der Britin Wales-Bonner die erstmals Kollektionen sehen wollte, die in Form einer schriftlichen Arbeit theoretisch fundiert sind. Jennifer erstellte die Kollektion Before the Mirror und konnte sie nach der Graduierung 2021 gleich zweimal am aufstrebenden Modeplatz Prag präsentieren – u.a. im Design Blok. Parallel dazu reichte sie ihre Arbeit auch bei Vogue Talents ein. Woraufhin eines ihrer Printdesigns auf dem Cover der Ausgabe Fearless Generations der Vogue Italia erschien. Kurz darauf schaffte sie es in die Shortlist der Global Design Graduate Show 2021 in der Kategorie Mode – eine Show, die in einer Kollaboration von Arts Thread und Gucci abgehalten wurde. 

Die Möglichkeit zur ersten eigenen Show kam mit der Prag Fashion Week 2023 und war zugleich der Release ihrer Post-Graduate Kollektion, Rabbits n‘ Roses (2023/24). Eingeladen war sie vom jungen Kollektiv We`re Next, das in kurzer Zeit rasant gewachsen war und schon mit der tschechischen Vogue zusammenarbeitete. 2023 erhielt die Modedesignerin ein START-Stipendium der Austrian Fashion Association (AFA) und die Möglichkeit, im AFA Showroom in Paris anlässlich der Paris Fashion Week im Juli 2023 ein Preview ihrer Kollektion zu zeigen. Im Februar 2024 zeigte sie dort schon zum zweiten Mal.

Modedesignerin JENNIFER MILLEDER, Kollektion Rabbits and Roses 2023 (c) Elsa Okazaki
Modedesignerin Jennifer Milleder, Kollektion Rabbits n‘ Roses 2023; Model: Schauspielerin Lisa-Lena Tritscher (c) Elsa Okazaki

Inspirationen aus der Kindheit 

Jennifer Milleders Zugang zu Mode ist sehr persönlich – persönlich im Sinn von Gegenständen, Filmen oder Romanen, die sie inhaltlich oder ästhetisch interessant und inspirierend findet. Oft sind es Dinge aus ihrer Kindheit, die ihre Gedanken in Gang bringen. Die Idee zur Kollektion Flora Magnifica (2019) lieferte zum Beispiel die russische Matrjoschka Puppe, eine Holzpuppe, die bunt bemalt ist, verschieden große und ineinander verschachtelbare Holzpuppen in sich birgt und Talisman-Charakter hat. Wobei die Modedesignerin immer einen konzeptionellen Zugang sucht, um eine Idee weiterzuentwickeln. Zum Beispiel wollte sie mit der Kollektion Flora Magnifica einen kritischen Dialog zum Thema Sustainability und der bereits bestehenden Umweltprobleme starten. Ausgangspunkt waren echte Blumen, die sie mit synthetischen Materialien in Verbindung setzte.

Modedesign Jennifer Milleder, Kollektion Rabbits n‘ Roses 2023; Model: Musikerin Eli Preiss (c) Elsa Okazaki

Narratives Modedesign

Aber sie erzählt auch gern Geschichten und kreiert Charaktere. Ideengebend für die Kollektion Rabbits n‘ Roses (2023/24) war der Roman Alice in Wonderland und dessen Charaktere, die sie in einen zeitgenössischen Kontext setzen wollte. Die Alice, die sie kreiert hat, ist kein kleines süßes Mädchen, sondern eine erwachsene Frau, die stark ist und dennoch gern träumt. „Mode ist für mich auch ein Gefühl, das ich in emotionalen und zugleich surrealen Kreationen vermitteln will. Ich will Charaktere erschaffen, über die man sich neu definieren kann und eine Welt, die man sich aneignen kann. Gefühle lassen sich gut in Farben ausdrücken. Deshalb mag ich monochrome Looks, in denen man vom Head Piece bis zu den Schuhen in das gleiche Gefühl gehüllt ist,“ so die Modedesignerin.

Modedesign Jennifer Milleder, Kollektion: Rabbits and Roses 2023 (c) Elsa Okazaki
Modedesign Jennifer Milleder, Kollektion: Rabbits n‘ Roses 2023 (c) Elsa Okazaki

Statement Sleeves

Neben Alice übersetzte sie auch die Figur der Queen of Hearts und des White Rabbit in starke zeitgenössische Charaktere. Wesentliches Stilelement ist die Silhouette, die in einer Auseinandersetzung mit dem Raum zwischen Körper und Textil entsteht. Die Schnittkonstruktionen sind gewagt. Auffallend, die voluminöse Schulter- und Ärmelkonstruktion, die Jennifer Milleder als Teil ihrer Formensprache sieht. Ihr sogenannter Statement-Sleeve basiert auf einem Unterbau und einer speziellen Schnittkonstruktion. Wobei die körperferne Form nicht etwa durch Wattierung, sondern rein durch den Schnitt entsteht. Dadurch entsteht eine Skulptur die soft und flexibel ist.

Modedesignerin Jennifer Milleder in einem ihrer Statement Sleeves aus der Kollektion Rabbits n‘ Roses 2023 (c) Marietta Dang

Art Pieces

Jennifer Milleder nennt ihre Kreationen Art Pieces und hat damit rasch die Aufmerksamkeit von Künstlern erlangt. Insbesondere sind es Musiker und Schauspieler, die ihre Kreationen gern auf der Bühne tragen. Aber auch zu Editorials von Modemagazinen weltweit hat sie rasch Zugang gefunden. Im Hinblick auf ein zu entwickelndes Geschäftsmodell, sind diese Art Pieces auch eine Art Test für die Tragbarkeit ihrer Modelle. Ziel sei es, das Couture-Konzept auf Ready-to-Wear herunterzubrechen, die doch noch eine Geschichte erzählen kann. Die Art Pieces fertigt die Modedesignerin in ihrem Wiener Atelier on-demand an. Was den Vorteil habe, dass es keine Überproduktion gibt. Die Ready-to-Wear, die sie plant, will sie jedoch seriell fertigen lassen.

Modedesign Jennifer Milleder, Kollektion: Rabbits and Roses 2023 (c) Elsa Okazaki
Modedesign Jennifer Milleder, Kollektion: Rabbits n‘ Roses 2023 (c) Elsa Okazaki

Kritik am Modesystem

Problematisch am Modesystem findet sie die Schnelllebigkeit, die im Widerspruch zum enormen Ressourcenaufwand und hohen Grad an Umweltverschmutzung im gesamten Lebenszyklus eines Kleidungsstücks steht „Der Hyperkonsum im Mainstream nimmt der Mode ihren Glanz“, sagt sie – und bedauert, dass Endverbraucher nicht in langlebige Stück investieren, sondern lieber wöchentlich neue Teile in Fast Fashion-Ketten kaufen. Dabei sei der Blick für das Wesentliche vollkommen verloren gegangen. Daran habe sich noch nichts geändert, obwohl das Thema in den vergangenen Jahren so präsent gewesen sei. Wobei die Veränderung nur von den großen Modeunternehmen angestoßen werden könne, die diese Verantwortung aber nicht übernehmen. Selbst legt sie Wert auf eine Produktion mit kurzen Wegen und möchte jedenfalls in Europa produzieren. 

Durch ihr Netzwerk und ihre ersten Präsentationen hat Jennifer Milleder schon Kontakte nach Paris, London und Mailand geknüpft. Diese Kontakte möchte sie weiter vertiefen. Ob sie selbst in fünf Jahren noch in Wien sein werde, sei fraglich. Derzeit sei noch nicht abzusehen, ob ein Modelabel mit Sitz in Wien in den Modemetropolen erfolgreich sein könne. 

Modedesign Jennifer Milleder, Kollektion Rabbits and Roses 2023 (c) Elsa Okazaki
Modedesign Jennifer Milleder, Kollektion Rabbits n‘ Roses 2023 (c) Elsa Okazaki

Über Jennifer Milleder

Die Modedesignerin wuchs in einem kleinen Dorf nahe Graz auf. Ihr Werdegang war von ihren Großmüttern inspiriert, die beide Schneiderinnen waren. Sie realisierte ihre ersten Kreationen schon im Alter von sieben Jahren und ging mit vierzehn auf die Kunst-HTL Ortwein in Graz. Dort gab es keinen Modeschwerpunkt, aber Jennifer Milleder nutzte jede Gelegenheit, Projekten einen Modebezug zu geben. Nach der Matura studierte sie ein Jahr Kunstgeschichte, wechselte dann aber in den Bachelor-Lehrgang Modedesign der Kunstuniversität Linz, der damals in Verbindung mit der Modeschule Hetzendorf in Wien abgehalten wurde. Nach Abschluss hörte sie, dass Hussein Chalayan die Leitung der Modeklasse an der Universität für Angewandte Kunst übernehmen würde. Sie mochte die künstlerische Herangehensweise, die seine frühen Arbeiten kennzeichnete und bewarb sich … erfolgreich! 

Modedesign Jennifer Milleder, Kollektion Rabbits n‘ Roses 2023 (c) Elsa Okazaki

Die prägendste Phase ihrer Studienzeit erlebte sie im Praktikum bei der niederländischen Designerin Iris van Herpen 2019 in Amsterdam. Waren ihre Kreationen zuvor meist schwarz und weichfließend, so zeigten sie nachher eine ungeahnte Vielfalt an Farben und Formen. Was sie an der Arbeit von Iris von Herpen faszinierte, waren „ihr neuartiger und experimenteller Zugang zu Mode, die dreidimensionalen Formen und die innovativen Materialien und Techniken. Aber ihre Kreationen sind absolut Couture und meine Mode soll auch tragbar sein. Ich möchte nicht ausschließlich Kleider für den roten Teppich machen“, so Jennifer Milleder.

Modedesignerin Jennifer Milleder /(c) Marietta Dang
Modedesignerin Jennifer Milleder (c) Marietta Dang

Hildegard Suntinger

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