Im Digitalisierungsdiskurs Bekanntheit erlangt: Der Big-Data-Experte Viktor Mayer-Schönberger und der Internet-Kritiker Andrew Keen. Beide waren Stargäste der http://voez.at/ am 28. Juni in der Raiffeisenbank International AG in Wien.
Andrew Keen war aus dem Silicon Valley angereist. Ursprünglich Internet Entrepreneur, war er 2007 einer der ersten, der auf die negativen Auswirkungen des Internets auf Kultur und Gesellschaft aufmerksam machte. Bei seinem Vortrag in Wien referierte er auf seinen jüngsten Buchtitel ‚How to fix the Future’ (2018) und präsentierte einen Rettungsplan für die Zukunft des Internet. Das Buch erscheint im September in deutscher Sprache.
Andrew Keens These: Das Internet wurde von wenigen Giganten vereinnahmt. Die ursprüngliche Vision von mehr Demokratie ist nicht eingetroffen.

Das Silicon Valley Monopol
Die technologische Innovation sollte neue Möglichkeiten für alle schaffen. Jeder werde eine Plattform haben können, publizieren und seine Ideen mit Musik, Videos, Fotos und Text verbreiten können. Dieses Versprechen habe eine glamouröse und verführerische Zukunft projiziert. Eingetroffen sei das Gegenteil. Das Internet werde von einigen wenigen Giganten dominiert, die Keen das Silicon Valley Monopol nennt. Insbesondere die sozialen Medien haben eine asoziale Revolution gebracht – mit Hass-Postings und Fake News eine neue Art von Narzissmus. Als Beispiel für diesen Kulturverfall nennt er Ronald Trump, der – gefangen in seiner eigenen Version von Selbst – höchst narzisstische Züge trage.
Handlungsfähigkeit wiederherstellen
Man spreche zwar von freien Sozialen Netzwerken, der Begriff sei jedoch unzutreffend.
„When we use them then we are turned into the products, with our data and our personalized information.“
Die Menschen haben die Handlungsfähigkeit verloren moniert Keen. Leute, die diese Entwicklung kritisieren, seien da, um die Handlungsfähigkeit wiederherzustellen. An dieser Stelle zitiert er den Tesla-Chef Elon Musk, der gesagt habe, dass die Menschheit in Gefahr sei, versklavt zu werden.
Vier Faktoren zur Rettung der Zukunft
Nach Andrew Keen sind es vier Faktoren, welche die Qualität der Zukunft beeinflussen: Innovation, Regulierung, Bildung und die Ermächtigung der Bürger. Den mächtigsten Faktor sieht er in der Regulierung, die bisher noch kaum stattgefunden habe – und wenn, dann in Europa. In diesem Zusammenhang plädiert Keen für Datenanwälte, die den Giganten die gesammelten Daten wegnehmen um sie den Nutzern zurückzugeben. Allerdings könne man sich nicht auf die Regulierung allein verlassen.
Zurück zur ursprünglichen Idee des Internet
Den Giganten im Silicon Valley prophezeit Andrew Keen keinen nachhaltigen Erfolg. Zwar seien sie derzeit noch hoch dotiert, ihr Geschäftsmodell aber langfristig nicht wirksam. Er plädiert für eine Rückkehr zur ursprünglichen Idee des Internet. Seine Vision für die sozialen Netzwerke sind Bezahlmodelle, wie sie bereits von You Tube angeboten werden. Das Werbemodell sei gescheitert, so der Kritiker.
Bildung neu denken
Neben der Regulierung sieht er auch im widerständigen Konsumenten eine Wirksamkeit. Dieser müsse erwachsen werden und seine Rechte einfordern. Um dies zu ermöglichen, brauche es Bildung und neue Plattformen, die Bildung vor dem Hintergrund der Digitalisierung neu denken. Schließlich sei das Individuum durch die Künstliche Intelligenz in seiner Existenz bedroht.
„Menschen brauchen Fähigkeiten, die Maschinen nicht leisten können.“
Die fünf von Keen genannten Aspekte seien geeignet eine Lösung herbeizuführen. Allerdings komme jede Lösung wieder mit einer Reihe von Problemen. Auch sei Geduld gefragt. Zwar brauche das Problem die Antwort einer Generation, werde aber nicht von einer Generation gelöst werden.
Viktor Mayer-Schönberger: Marktwirtschaft und Demokratie retten

Während Andrew Keen eine gesellschaftspolitische Perspektive auf das Internet hat, ist es beim Juristen Viktor Mayer-Schönberger eine wirtschaftliche. Auch der Big-Data-Experte setzt sich für die Rettung der Zukunft ein. In der Terminologie der Wirtschaftswissenschaften ist es die Marktwirtschaft, die, lt. Mayer-Schönberger, an der Marktkonzentration und an zentraler Entscheidungsfindung leidet.
In seiner Definition sind Daten nicht nur eine Möglichkeit der Effizienzgewinnung. Vielmehr vermitteln diese eine neue Perspektive auf die Wirklichkeit.
„Mithilfe der Daten bekommen wir Einblicke, die wir anders nicht bekommen hätten.“
Schon heute würden Forschungsprojekte in Medizin und Bildung von computerbasierten Methoden profitieren. Durch das Sammeln und Auswerten großer Datenmengen seien oft überraschende Muster zu erkennen, die Modellbildung ermöglichen.
Märkte brauchen dezentrale Entscheidungen
Im Hinblick auf den Markt gestalte sich die Nutzung von Daten weit komplexer. Mayer-Schönberger betrachtet den Markt als eine soziale Innovation, die Menschen erlaubt, sich miteinander zu koordinieren – ohne dass alle das gleiche Ziel haben müssen. Sobald jemand ein komplementäres Ziel hat und jemanden findet, der das gleiche komplementäre Ziel verfolgt, gibt es eine Transaktion und somit eine Koordination. Der Markt sei versiert in der Koordination – vorausgesetzt Entscheidungen finden dezentral statt, so der Experte.
„Information und dezentrale Entscheidung sind die Qualitätsmerkmale von Märkten.“
Von kapitalreichen Märkten …
Problematisch sei allerdings die Flut an Informationen, mit denen die Marktteilnehmer konfrontiert seien. Diese Komplexität galt es zu reduzieren. Weshalb man dazu übergegangen sei, alle am Markt verfügbaren Informationen in einer Zahl verfügbar zu machen: den Preis. Nicht alle Eigenschaften eines Produktes zu kommunizieren sondern in einer Eigenschaft zu verschmelzen, habe in der Vergangenheit dazu geführt, dass Märkte funktionieren.
Das Medium der Information am Markt sei das Geld. Dieses habe über und mit dem Preis zu informieren. Negative Begleiterscheinung dieser Praxis sei der Verlust von Details. Darin liege der Bias, der erneut Fehlentscheidungen fördere, so Mayer-Schönberger.
… zu datenreichen Märkten: Wenn Daten statt Geld agieren
Für den Big-Data-Experten sind kapitalreiche Märkte Vergangenheit. Die neue Realität seien datenreiche Märkte. An diesem Punkt kommt auch er zu den Giganten aus dem Silicon Valley: Das Ziel bei Amazon sei es nur mehr genau ein Produkt zu empfehlen – und zwar das welches gekauft werde.
Bisher habe man angenommen, dass sinkende Löhne mit steigendem Kapital einhergehen. Aber die Kapitalrendite habe verloren und das Geld gehe hin zu den Profiten – und diese liegen bei den digitalen Superstars Apple, Google, Facebook, Amazon, … Das Angebot der Giganten entspreche dem, was Menschen wollen – consumer welfare. Aber auch das Geschäftsmodell der Giganten habe einen Bias.
Zentral gelenkte Planwirtschaft
Der Markt lebe von dezentralen Entscheidungen. Mache der Einzelne einen Fehler, so gehe der Markt nicht unter. Amazon arbeite aber überwiegend mit zentralen Entscheidungen. Daraus ergebe sich ein ‚single point of failure’. Weshalb das Unternehmen weit weniger robust sei als reale Märkte. Zwar überholten gegenwärtig die datenreichen Mitbewerber die kapitalreichen, aber in Wirklichkeit sei das zentral gelenkte Planwirtschaft, so Mayer-Schönberger. Wenn alle einem Befehl gehorchen, dann sei das keine Demokratie, sondern Diktatur.
Der Ruf nach Steuern sei reine Symptombekämpfung, ändere nur die Konzentrationsdynamik und bringe eine andere Verteilung. Auch Zerschlagung sei nicht die Lösung. Die Macht der Entscheidungsagenten resultiere aus den vielen Daten. Um das zu ändern, sei es an allen Marktteilnehmern gelegen, sich Daten zugänglich zu machen.
„Amazon müsste seine Daten kleinen Unternehmen zur Verfügung stellen, seine Daten teilen.“
Der Markt lebt von Vielfalt
Der Big-Data-Experte sieht in der Lösung des Problems die größte politische Herausforderung seit dem ersten Weltkrieg. Die Marktkonzentration müsse gebrochen werden um Marktwirtschaft und Demokratie zu retten. Der Markt lebe von der Vielfalt und diese sei nur über dezentrale Marktentscheidungen herzustellen.
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