Paris Couture 1945-1968

»Die Amerikaner haben die Kollektion von Yves Saint Laurent grässlich gefunden und wollen nicht mehr nach Paris kommen. Ist das Ende der Haute Couture gekommen?«
Frage einer Journalistin an Daniel Gorin, den Präsidenten der ›Chambre Syndicale de la Couture Parisienne‹ in den 1960er Jahren.

Das Ende des zweiten Weltkriegs markierte für französische Haute Couture-Häuser einen spektakulären Neubeginn. Die Alliierten kauften die Luxushäuser leer. Die Pariser Couture hatte der Besatzung standgehalten und Paris wurde dank Hubert de Givenchy, Coco Chanel, Christian Dior und Cristóbal Balenciaga wieder zur Welthauptstadt der Mode. Der fulminante Erfolg war jedoch von kurzer Dauer. Das auf Handarbeit basierende Arbeitsmodell stieß auf die gesellschaftliche Demokratisierung und ausländische Konkurrenz. Gab es 1946 noch 106 Couture-Häuser in Paris, so waren es 1968 nur noch 17.
Die Pariser Haute Couture war eine geschlossene Gesellschaft, deren Mitglieder keine Zwänge kannten. Aristokraten und Großbürgertum hielten die Näherinnen von ganz Paris auf Trab. Nach mindestens drei Anproben war das Modell in zwei bis drei Wochen fertig. Cristóbal Balenciaga wurde im Nachkriegsparis als ›König der Haute Couture‹ gefeiert. Aus dem Baskenland stammend, war er 1937 aus Spanien nach Paris geflohen. Der junge Hubert de Givenchy war einer seiner glühenden Anhänger und wollte sich bei ihm vorstellen, wurde allerdings schon an der Pforte abgewiesen. Woraufhin er zu Jaques Fath ging.
Weitere große Namen waren Pierre Balmain und Christian Dior. Die Filmdiva Marlene Dietrich trug Dior. Es war Diors New Look der der Pariser Haute Couture nach dem 2. Weltkrieg zum Durchbruch verhalf. Es war auch Dior der mit den USA ein Lizenzsystem für Strumpfhosen, Krawatten, … entwickelte und damit seiner Zeit weit voraus war.

Es ist Diors New Look der den Durchbruch der Pariser Haute Couture nach dem 2. Weltkrieg markiert.

Hubert de Givenchy wechselte 1949 von Jaques Fath zu Schiaparelli, wo er mit der Leitung ihrer Boutique betraut war. Als er mit seinen Separables – unkompliziert kombinierbare Zweiteiler – erfolgreicher war, als Schiaparelli selbst, entließ sie ihn und prophezeite ihm den Niedergang. Tatsächlich sollte sie es sein, die die Modebühne verlassen musste.
In den 1950er Jahren sah sich die Haute Couture vor schwierigen Rahmenbedingungen. Die Lohnkosten stiegen, Näherinnen gingen auf die Straße und mit dem Verschwinden der Monarchie sank die Zahl der Kunden. Es erfolgte ein Richtungswechsel, von dem viele Couture Häuser überrascht wurden. Schiaparelli musste zusperren. Hubert de Givenchy gründete sein eigenes Label. Im Model Bettina fand er ein publicitystarkes Testimonial. Aufgrund seiner einnehmenden Erscheinung war er bei Journalisten und Kunden sehr beliebt. Es kam zur langerwarteten Begegnung mit Balenciaga, der zu seinem Mentor und Geldgeber werden sollte. Balenciaga reüssierte mit einer Silhouette, die seine betagten Kundinnen jugendlich erscheinen ließ. Der Meister stellte Givenchy die Schauspielerin Audrey Hepburn vor, die fortan dessen Kreationen trug (Stichwort: Sabrina). Haute Couture wurde zur Inkarnation französischer Eleganz.

Coco Chanel, die sich im 2. Weltkrieg in die Schweiz zurückgezogen hatte, konnte es kaum ertragen, den Entwicklungen in Paris von ferne zusehen zu müssen. Sie musste ihr Haus 1939 schließen. Über Dior sagte sie, er „tapeziere die Frauen“. 1953 kam sie mit den Worten. „ich habe noch zwei, drei Dinge zu sagen“, zurück. Ihre erste Kollektion wurde in Frankreich zum schmählichen Misserfolg, die Amerikaner waren etwas gnädiger und orderten drei Modelle. Insgesamt produzierte sie in dieser Saison 300 Modelle, während es bei den anderen Designern zwischen 3000 und 4000 Modelle waren. Kurz darauf starb erst Jaques Fath (und mit ihm sein Label) und dann Dior. Marcel Broussac, der Besitzer von Dior, engagierte mit Yves Saint Laurent ein Wunderkind, das schon bei Dior assistiert hatte. Yves war 22 und seine erste Kollektion, die unter dem Titel ‚Trapèze’ erschien, wurde euphorisch aufgenommen. Er wurde als Retter der Pariser Haute Couture gefeiert. In einem Interview sagte er, er habe Einfachheit, Natürlichkeit und Leichtigkeit angestrebt.

30.1.1958: Yves Saint Laurent wird nach seiner ersten Kollektion für Dior als der Retter der Pariser Haute Couture gefeiert.

Als er zum Wehrdienst einberufen wurde, ernannte die Geschäftsführung Marc Bohan zu seinem Vertreter. Yves Saint Laurent wurde nach kurzer Zeit wegen nervöser Depression entlassen und wollte zu Dior zurückkehren, sollte aber abgestuft werden und lehnte dankend ab, um sich der Kreation von Theaterkostümen zu widmen. Sein Geschäftspartner und Lebensgefährte Bergé bereitete den Weg für seine eigene Linie (Start: 1962) und YSL wurde nach nur zwei Kollektionen zur ersten Adresse in Paris.

Zu Beginn der 1960er Jahre gingen 50 Prozent der französischen Couture-Exporte nach Nordamerika. Die Pariser Mode wurde zum Opfer ihres eigenen Erfolges. Während die Luxusmodehäuser stabile Preise bezahlten, um Kopien machen zu dürfen, wurden die Kopien von den ‚Königen der Konfektion‘ zu Schleuderpreisen angeboten. Die ‚Haie der Couture‘ waren Ron Eig, Didges und Farkas. In der New Yorker 7th Avenue saß die gesamte New Yorker Modewelt und die Straße wurde zum Hauptquartier der internationalen Konfektionsmode.

Das Paradox der Pariser Haute Couture wurde sichtbar. Die Modekolumnistin Susanne Dadolle sagte, dass die Amerikaner in der Zwischenzeit gut organisiert seien und eigene Modellschneider haben, die nach dem Pariser Vorbild fertigten. Ihre Warnung: »Die französische Haute Couture muss sich warm anziehen. Der amerikanische Exportmarkt könnte schrumpfen.«

Daniel Gorin, Presidènt de la chambre syndicale de la Couture Parisienne: »Paris ist das Labor, das den internationalen Modemarkt versorgt. So wie die Welt mit Gas und Strom versorgt wird. Nur haben wir leider keinen Zähler.«

Die erste Generation Babyboomer hatte die Pubertät erreicht und ihren eigenen Stil entwickelt. Die neue, urbane Jugend bevorzugte die Prêt-à-Porter, die die Konsumlust unmittelbar befriedigte. Von Modepresse und Jugendidolen inspiriert, war die französische Prêt-à-Porter auf Erfolgskurs. Silvie Vartan war angesagtes Jugendidol. Brigitte Bardot sagte, dass Haute Couture nur was für Großmütter sei und kaufte in der Boutique Real ein. Boutiquen waren zugänglicher als Haute Couture Häuser.
André Courrèges gründete sein eigenes Label (nach 11 Jahren bei Balenciaga) und schaffte eine architekturiale Mode, die das Lebensgefühl der jungen Frauen traf. Man sorgte sich, die Damen könnten für Jungs gehalten werden. »Eine Frau mit einem dynamischen Lebensstil wird nicht feminin, indem sie hohe Schuhe anzieht,« sagte Courrèges. Die kurzen Kleider legten die Knie frei und betonten weder Taille noch Hüfte. Françoise Hardy war der Liebling der Teenager.

»Die Bedeutung von Eleganz hat sich gewandelt, die Frauen wollen heute lieber verführerisch sein.« Yves Saint Laurent

Courrèges war mit Prêt-à-Porter so erfolgreich, dass er 1966 eine Boutique eröffnete und damit eine Lawine auslöste. Alle folgten seinem Beispiel (YSL, Givenchy, …) Zusätzlich zur Haute Couture mussten die Modehäuser jetzt noch zwei Prêt-à-Porter-Kollektionen pro Jahr herausbringen, um wirtschaftlich überleben zu können. Coco Chanel weigerte sich, Prêt-à-Porter zu machen. Sie launchte das Kostüm mit kniebedeckendem Rock und konnte damit doch noch an ihre alten Erfolge anschließen. Sie sagte, ihre Kunden wollen Eleganz. Yves Saint Laurent dachte anders und sagte: »Die Bedeutung von Eleganz hat sich gewandelt, die Frauen wollen heute lieber verführerisch sein.«
Trotzdem hatte er Respekt vor Chanels Lebenswerk. In einem Interview sprach er von den »großen und wahren Couturiers, die die Frauen begeistern, indem sie etwas sehr Einfaches kreieren. Zitat: »Ich glaube, davon gab es nur zwei, Chanel und Balenciaga. Sie haben ihre Zeit und ihren Beruf geprägt.«
Auch Balenciaga konnte es sich erlauben, den neuen Wind, der die Mode erfasst hatte, zu ignorieren. Er machte Haute Couture für ein immer spärlicheres Publikum. In den Unruhen 1968 begriff aber auch er, dass sich die Welt geändert hatte und Haute Couture keine Zukunft hat. Er entließ seine 400 Mitarbeiter und schloss sein Haus.
1946 gab es 106 Haute Couture-Häuser, die 20.000 Privatkunden eingekleidet haben, 1968 waren es 17 Häuser mit 2000 Kunden. Eine Welt verschwand – und die Stimme einer neuen Generation von der Straße erhob sich und schickte sich an, alles zu verändern.
Dazu Statements von zwei neuen Stars in Paris:
Sonia Rykiel: „Modeschöpfer zu sein, bedeutet in seiner Zeit zu leben, daran teilzunehmen und hinzusehen.«
Lagerfeld: »Mode ist Ausdruck ihrer Zeit. Mode machen, bedeutet den Zeitgeist einzufangen, den Geist einer Ära, eines Augenblicks.«

Exzerpt: Paris Couture 1945-1968.
Beitrag von Jean Lauritano,
gesehen auf Arte TV Mediathek am 2. Oktober 2016

Foto oben: Cristóbal Balenciaga (c) Irving Penn 1950
Cristóbal Balenciaga wurde im Nachkriegsparis als ›König der Haute Couture‹ gefeiert.

Hildegard Suntinger

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2 Kommentare zu „Paris Couture 1945-1968“

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