Li Edelkoort veröffentlichte im März ein vielbeachtetes Antimode-Manifest. Darin übte sie Kritik an den Strategien der Modeindustrie. So kritisierte sie etwa den anhaltenden Kult um Stardesigner und It-People. Dieser sei nicht gerechtfertigt, weil es sich dabei um die Ausnahme und nicht die Regel handle. Auch die theatralische Art der Mode treffe nicht die tatsächlichen Needs und Wants der Konsument*innen. Geht es nach der Trendforscherin, dann sind es nicht länger die Kleider, die Aufschluss über eine Persönlichkeit geben, sondern die Haare oder ein Tattoo.
Foto oben: Taylor Harding – Unsplash
Lidewij Edelkoort zählt zu den renommiertesten Trendforschern der Gegenwart. Folglich blieb es nicht unbemerkt, als sie am 1. März 2015 durch ihre Pariser Agentur ›Trend Union‹ ein Antimode-Manifest veröffentlichte. Darin erklärte sie in zehn Punkten, warum das Modesystem obsolet ist und das Ende einer Modeära naht. Es ist nicht so, dass Edelkoort die Mode nicht kennen oder nicht mögen würde. Sie berät Mode- und Textilfachmessen und selbst Designer wie Cerruti oder Ermenegildo Zegna haben schon ihren Rat gesucht. Weshalb sie betont, dass ihr die Verfassung des Manifests nicht leicht gefallen sei, weil sie die Mode liebe.
Umsatzgetriebene Mode
Edelkoort stellt in dem Manifest mehrmals Mode und Bekleidung gegenüber und in diesem Kontrast liegt auch der Schlüssel zu ihrem Grundgedanken. Nämlich, dass Mode der Mode und des Umsatzes willen gemacht werde und die Ökonomie der Bekleidung von einem saturierten System vollkommen außer Acht gelassen werde. Die anhaltenden Individualisierungstendenzen der Modeindustrie und deren It-People-Strategie, bezeichnet sie als 20. Jhd.-Modus, der diese alt erscheinen lasse. Hingegen ortet die Trendforscherin in den veränderten Bedürfnissen der Gesellschaft nicht die Ausnahme von der Regel, sondern Hunger nach Konsens und Altruismus.
New Economy
Den überkommenen Egoismus der Modeindustrie reflektiert sie u.a. vor dem Hintergrund der ›New Economy‹ deren Tendenz zur Teamarbeit bereits alle Arbeitsfelder außer jenes der Mode erfasst habe. So werden Modestudenten immer noch zu »Catwalk Designern und hoch individuellen Stars ausgebildet, zu Diven, die nur darauf warten, von Luxusmarken entdeckt zu werden«. Vielmehr sollte in der Ausbildung die hochindustrielle Art des Modedesigns fokussiert werden, das auf serielle Fertigung und Stückzahlen angelegt ist und somit Gleichheit zum Zweck hat. Zitat: »Die Leute mögen es, gleich auszusehen und Teil eines Tribe zu sein. Es sind nicht länger die Kleider, die Aufschluss über die Persönlichkeit geben, es sind die Haare oder ein Tattoo.«
»Die Leute mögen es, gleich auszusehen und Teil eines Tribe zu sein. Es sind nicht länger die Kleider, die Aufschluss über die Persönlichkeit geben, es sind die Haare oder ein Tattoo.«
Lidewij Edelkoort
Durch Einsparungen im Ausbildungssystem und in den Modehäusern sei zudem der Fortbestand der Textilindustrie bedroht. Insbesondere Strick- und Webateliers bekämen diese Tendenz bereits zu spüren. Für die Studenten bedeute das, dass sie nicht länger in textiler Kreation und Stoffkunde ausgebildet werden. Ohne die europäische Faser-, Garn- und Textilindustrie werde das Wissen über Spinnen, Weben, Finishs und Drucken verlorengehen, so Edelkoort.
Klar, dass ihr auch die ökosozial unkorrekte Produktion in den Billiglohnländern nicht entgangen ist, die über die Ausbeutung von Mensch und Umwelt hinaus eine negative Symbolik verbreite und Kleidung zum wertlosen Wegwerfartikel degradiere. Zitat: »Wenn Kleidungsstücke billiger als Sandwiches angeboten werden, wissen wir alle, dass etwas zutiefst falsch und verheerend ist.«
Umsatzgetriebenes Marketing
Die Trendforscherin handelt in dem Zehn-Punkte-Manifest alle Ebenen der Modeindustrie ab. Am schlechtesten schneidet das Marketing ab, dem sie vorwirft, den Untergang der Mode durch Umsatzgetriebenheit verursacht zu haben. Als Wissenschaft zur Entwicklung von zukunftsorientierten Strategien erfunden, habe es seine Autonomie schon lange verloren und sei zu einem »furchtsamen Regiment von Markenwächtern, Finanzsklaven und Geiseln von Teilhaberinteressen« geworden, so die Trendforscherin.
Zusammenspiel von Marken und Medien
Eine prosperierende Modeindustrie sei auch durch die enge Zusammenarbeit von Modehäusern mit Modemedien und Bloggern verhindert. Wie Edelkoort beobachtet, wiederholen sich Anzeigen in Magazinen ständig und die Sujets der verschiedenen Modehäuser sind kaum unterscheidbar. Darüberhinaus komme es im konspirativen Zusammenspiel von Medien und Marken zu einer Verbindung von Werbung und Editorial und in beiden Kategorien werden mehr oder weniger die gleichen Kleider gezeigt. Neue Brands haben keine Chance in die Editorials der prestigeträchtigen Modemagazine aufgenommen zu werden, so Edelkoorts Kritik.
Generation Like
Zudem bestehe in den Redaktionen internationaler Tageszeitungen die Tendenz, die besten Modejournalisten durch eine jüngere Generation zu ersetzen, die unreflektiert Meinungen wiedergebe, statt professionell und kritisch zu bewerten. Von der Flut von Fashionbloggern intellektuelle Kritik zu erwarten, sei ebenso vergeblich, da diese von Zuwendungen der Industrie abhängig seien und im Modus der Generation Like berichten.
Überkommene Handelsformate
Auch der Handel habe es nicht geschafft, mit der Zeit zu gehen und kämpfe mit überkommenen Formaten, die den zeitgenössischen »fluiden« Konsumenten nicht mehr ansprechen. Edelkoort moniert die mangelnde Fähigkeit high und low, Stadt und Land, Flughafen und Hotel, online und real time abzudecken. Dazu komme eine neue Sorte Konsumenten, die sich von der Mode nicht mehr angesprochen fühle und auch nicht mehr zurückzugewinnen sei. Besitz bedeute ihnen nichts mehr und sie tauschen, mieten und verleihen Kleider, ändern sie selber und finden sie auf der Straße. Die einzige Ausnahme in Edelkoorts düsterem Szenario bildet die Männermode, da Männer zunehmend an Mode, Accessoires, Kosmetik und Düften interessiert seien.
Die Ablöse der Mode …
… sieht die Trendforscherin im Comeback der Couture. Im Atelier des Couturiers ortet sie eine neue Liebe zu Konstruktion und Handwerk und ein Labor für die Entwicklung innovativer Bekleidungskonzepte, die nicht mehr nur einen kleinen Kreis Zahlungskräftiger bedienen sollen, sondern auch den ermüdeten Markt neu inspirieren. Edelkoort prognostiziert das Comeback autorisierter Couture-Kopien, wie sie einst im Handel zwischen den Pariser Couture Salons und amerikanischen Händlern praktiziert wurde.
Über Lidewij Edelkoort
1950 in den Niederlanden geboren, lebt die Trendforscherin in Paris und berät Modeunternehmen und Konsumentenmarken aus verschiedenen Branchen weltweit. Neben Beratungs- und Verlegertätigkeit, war sie von 1998 bis 2008 Direktorin der Design Academy Eindhoven und hat das Designhuis etabliert, ein Kulturzentrum für die Promotion von Design. 2011 gründete sie die ›School of Form‹ im polnischen Poznan, die das Ziel hat, osteuropäische Designer zu fördern. Im Lehrplan werden Design und Humanwissenschaften kombiniert.
Normcore
Wenn Li Edelkoort von Altruismus, Konsens und Gleichheit spricht, so hat das New Yorker Trendforschungsinstitut K-Hole das Phänomen aus soziologischer Perspektive erforscht und ›Normcore‹ genannt. Die Theorie: Das Internet hat die Mode verändert. Es hat eine Flut an neuen, individuellen und sich schnell ändernden Stilen hervorgebracht, die kurz nach ihrem Erscheinen schon wieder inflationär sind. Die Überelite der Individualisten sind zur Massenbewegung geworden und die Flucht zur Mitte setzt ein. War es zuvor eines der schlimmsten Dinge, normal zu sein, so geht es jetzt um Anpassung. Zitat: ”Es war einmal eine Zeit, als die Menschen in Communitys geboren wurden und ihre Individualität finden mussten. Heute werden Menschen als Individuen geboren und müssen ihre Community zu finden.“ Eine exaltierte Äußerung fand dieser Trend in den sogenannten ”Normcore-Hipsters” im Sommer 2014: Sie kleideten sich in unmodische, verwechselbare und einförmige Looks, um den Kleidungsstil ihrer Elterngeneration zurückholen, in dem noch nicht alles designt war. In Birkenstock Sandalen, Jeans, T-Shirt und Gore-Jacke fanden sie den geeigneten Look um in der Masse unterzugehen.
[…] Einen Artikel über Edelkoorts Antimode-Manifest lesen Sie hier: Edelkoort: Antimode-Manifest […]
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