Im italienischen Prato wird heute Bekleidung zu chinesischen Bedingungen produziert.
Das italienische Prato, nahe Florenz, war einst blühendes Zentrum der Wollstoffindustrie. Heute wird dort Bekleidung zu chinesischen Bedingungen produziert. Illegale Beschäftigungsverhältnisse und soziale Ausbeutung stehen an der Tagesordnung. Der Brand in einer Prateser Fabrikshalle am 1. Dezember 2013 hat die Öffentlichkeit aufgerüttelt. Die sieben Todesopfer waren illegale Arbeiter/innen, die in behelfsmäßigen Unterkünften aus Gips und Karton in den Fabrikshallen untergebracht waren.
Foto oben: Unsplash – Lidya Nada
Die Prateser Stoffproduktion nahm ihre Anfänge im 13. Jahrhundert. Die erfolgsverwöhnten Produzenten waren sich sicher, die schönsten Stoffe der Welt herzustellen. Ende der 1980er Jahre verblasste ihr Ruhm. Klar modeorientiert, hatten sie den Anschluss an die moderne Technologie verpasst und konnten mit den Billigimporten aus Fernost nicht mehr mithalten.
Ein angestrebtes Forschungsinstitut zur gemeinschaftlichen Entwicklung innovativer Technologien wurde von den traditionsverbundenen und modeverhangenen Prateser Produzenten abgelehnt. 2006 erfolgte der unvermeidliche Einbruch. Seither wurden die leerstehenden Fabrikshallen vorwiegend an chinesische Unternehmer vermietet. Rd. 3000 Fabriken sind mittlerweile in chinesischer Hand. Und das obwohl sechs von zehn chinesischen Betrieben innerhalb eines Jahres wieder zusperren.
Chinesische Bedingungen in Prato
Auch die Arbeiter sind chinesischer Herkunft. Sie kommen i.d.R. mit Touristenvisum und tauchen dann einfach unter. In den vergangenen zwei Dekaden haben sich in der 200.000-Einwohner-Stadt 60.000 Chinesen angesiedelt. Es ist die größte chinesische Community Europas. Hier haben sie sich chinesische Bedingungen geschaffen: Sie produzieren schnelle Mode minderer Qualität und profitieren vom Label Made in Italy. Einer ihrer entscheidenden Vorteile ist die Schnelligkeit. Innerhalb kürzester Zeit kopieren sie Designs vom Laufsteg und bringen sie – oft noch vor den Urhebern – auf den Markt.
Undurchdringliche Firmengeflechte
Die elenden Arbeitsbedingungen in den chinesischen Betrieben sind ein offenes Geheimnis. Der Oberstaatsanwalt von Prato, Piero Tony, soll lt. FAZ-Korrespondent Tobias Piller nach dem Brandunglück vom 1. Dezember 2013 von Zuständen wie im Wilden Westen gesprochen haben. Die illegal beschäftigten und in den Farbriksgebäuden untergebrachten chinesischen Arbeiter/Innen flüchten bei Razzien. Auch wenn ihre Existenz erbärmlich und ihr Lohn gering ist – sie haben keine andere Wahl. Andernfalls drohen Obdachlosigkeit und/oder Abschiebung. Verantwortliche arbeiten verdeckt oder halten sich vermeintlich in China auf. Die Firmengeflechte sind undurchdringlich. Die chinesischen Unternehmer arbeiten mit einer Vielzahl an Subunternehmen und treten oft nur in Form eines Showrooms in Erscheinung. Denn Schwarzarbeit, das bedeutet keine Steuerabgaben und keine Abgaben an die Sozialversicherung.
Prateser Stadtpolitiker selbst Teil der Textilindustrie
Laut TV-Reportage des Bayrischen Rundfunks hat sich die Stimmung in Prato seit dem Brand im Dezember 2013 gegen die Chinesen gewandt. Dennoch verteidigt Daniele Pucciante, Inhaber einer Garnfabrik in diesem Bericht die chinesischen Bekleidungsproduzenten. Sie seien es, die die traditionellen Webereien, Färbereien und Veredlungsbetriebe am Laufen halten. Andernfalls gäbe es nur noch 20- bis 30% des Gewerbes.
Auch der SWR2-Autor Conrad Lay hat 2012 vor Ort recherchiert und herausgefunden, dass in der Prateser Stadtregierung kaum ein Politiker anzutreffen ist, der nicht selbst Teil der lokalen Textilindustrie war oder ist. Als Vermieter alter Fabrikshallen profitieren die Politiker nicht selten selbst von den chinesischen Unternehmen.
An der Globalisierung gescheitert
Lay hat in seinen wiederholten Besuchen auch Kontakte zu Repräsentanten alteingesessener Familienbetriebe geknüpft. Zeuge des Niedergangs war etwa Edoardo Nesi, der seine traditionelle Lodenfabrik vor ein paar Jahren schließen musste. 2011 hat er ein Buch über den wirtschaftlichen Verfall und dessen Auswirkungen auf die Region und die Zukunft veröffentlicht. Es erschien unter dem Titel »Storia della mia gente« (dt: Die Geschichte meiner Leute) und erhielt den Premio Strega, den wichtigsten italienischen Literaturpreis. Aus Nesi’s Perspektive hat sich die Mode der Globalisierung angepasst. Mode, die in China produziert werde, müsse einfach sein. Eine Coolness mit der die Prateser nicht mithalten können. Die Globalisierung habe für sie zum Untergang geführt und für die Chinesen, die sich sukzessive angesiedelt haben, zum Aufstieg.
Forderung nach sozialer Abfederung
Ein italienischer Betrieb, der durchgehalten hat, ist jener von Tuchmacher Massimo Milano (54). Er hat die Produktionsfläche seines Familienbetriebes in seiner Führungsperiode von einer auf vier Hallen vergrößert und beschäftigt 20 Mitarbeiter. Auf 25 computergesteuerten Webstühlen produziert Milano sehr spezielle Stoffe für Nischen wie etwa Uniformen aber auch für die Modeindustrie. Sein Kundenportfolio reicht von Zara bis zu Armani. Einfach sei es aber auch für ihn nicht, so Milano. In den vergangenen 30 Jahren sei es mit dem Prinzip des Familienbetriebs möglich gewesen, Wohlstand zu verbreiten. Heute sei das nicht mehr so. Der engagierte Unternehmer hat nichts gegen eine Globalisierung so lange diese sozial abgefedert sei und Gesetze eingehalten werden. Aber er weiß, dass EU-Bestimmungen bei der Stoffeinfuhr aus China verletzt werden und umgekehrt Stoffe aus Italien wochenlang in China an der Grenze aufgehalten werden. Das sei ein freier Handel, in dem jeder mache, was er wolle und der die italienischen Familienbetriebe benachteilige. Auch beklagt Milano die Unwissenheit des Konsumenten. Dieser müsse sich doch denken können, dass der Stoff eines Mantels um 19 Euro nicht zu EU-Richtlinien hergestellt sein könne.
Quellenhinweise: Der SWR2-Autor Conrad Lay war bereits dreimal in Prato: 1988, 2006 und 2012. Seine aktuellste Reportage wurde am 2. Feber 2014 auf Ö1 gesendet. Für den bayrischen Rundfunk berichtete Gerhard Lohser am 16.02. 2014 über die Situation in Prato. Der Titel der Sendung lautete Chinesisches »Made« in Italy.
Prato ist kein Einzelfall
Rückgänge im Zuge der Billiglohn-Konkurrenz aus Fernost mussten in den vergangenen Jahren auch andere europäische Textilproduktionszentren hinnehmen.
I971 dominierte die Textilindustrie in Vorarlberg noch mit einem Anteil von 65%. Bis 2013 war der Anteil auf 8% geschrumpft. Um im Wettbewerb bestehen zu können, haben Vorarlberger Betriebe auf Innovation und Produktivität gesetzt. Gemeinsam mit der Universität Innsbruck wurde ein Institut für Textilchemie und Textilphysik etabliert.
Mittlerweile sind 50% der in Vorarlberg hergestellten Textilien dem technischen Sektor zuzurechnen. Das entspricht einem Volumen von 1,21 Mrd. EUR. In einigen Bereichen sind die Vorarlberger Technologieführer. Zu den Kunden zählen – neben der Bekleidungsindustrie – u.a. auch die Autoindustrie. Im Portfolio sind sowohl durch Wollgehalt natürlich wärmende Autositzbezüge als auch Autoreifen aus Carbonstickerei. Aktuell wird u.a. ein 3D-Druckverfahren für Kleidung entwickelt. Bis dato ist dies nur auf Basis von dünnen Kunststoffdrahtschichten möglich. V-Trion Textilresearch will dies ändern und entwickelt gemeinsam mit Lenzing eine Viskosefaser, die sich drucken lässt. Die Entwicklungen werden sich noch über mehrere Jahre hinziehen.
Quellenhinweis: ORF 2 Österreich-Bild Landesstudie Vorarlberg: »Erfolg in der Nische« am 13. Juli 2014 von Markus Klement und Jasmin Ölz-Barnay.
Hildegard Suntinger