Von Ende des 17. Jhs bis zu Beginn des 19. Jhs war das österreichische Mühlviertel ein bedeutendes Zentrum der Leinenproduktion. Die Bevölkerung leistete die gesamte Wertschöpfungskette – vom Flachsanbau bis hin zum fertigen Stoffballen. Die Qualität der Stoffe wurde streng geprüft und war weltweit anerkannt. Der Leinenhandel brachte der Region großen Wohlstand. Mit der Einführung des mechanischen Webstuhls ging die Ära jedoch zu Ende.
Bis ins 17. Jh. war der Salzhandel der wichtigste Handelszweig des Mühlviertels. Als dieser wegen zunehmender Konkurrenz einbrach, verarmte die Bevölkerung und erlangte erst durch den Leinenhandel neuen Wohlstand. Handelszentrum war Neufelden (vormals Velden) im oberen Mühlviertel. Der Markt lag an der via regia, einem Transportweg, der von Ottensheim an der Donau durch das Mühlviertel bis nach Böhmen führte. Das halbinselförmige Plateau des heutigen Marktgebietes diente im Handelsverkehr als Rastplatz und Nachtlager.
Leinenweberei als wichtigstes Handwerk
Die Leinenweberei war im ganzen Land das wichtigste Handwerk und wurde vielfach als das einzige Kleinod des Landes bezeichnet. Die Bauern bauten Flachs an, spannen das Garn und webten das Leinen. Sie fertigten gewöhnliches Hausleinen für den Eigenbedarf, verkauften es aber auch auf den Märkten an die Weber, die feinere Leinwand und Leinendamast-Waren herstellten. Die Leinenhändler sorgten für den Absatz der Ware in andere Länder.

Die Weberzünfte waren eine der ältesten Handwerksorganisationen im Land und schon 1578 gab es 21 Zünfte in Oberösterreich. Jeder, der ein Handwerk ausübte, musste der Zunft beitreten. Bis zur Mitte des 18. Jhs waren nur Marktbürger als Webermeister zu finden. Erst Maria Theresia räumte auch den Bauern das Recht ein, Weberei zunftmäßig zu betreiben. Aber sie waren nur zur Lohnarbeit berechtigt, oder zur Anfertigung minderer Waren, wie Plachen, Rupfen und Loden. Bauern wurden als Gäumeister angesprochen. Das unterschied sie von den bürgerlichen Leinwebmeistern, die feinere Ware erzeugen konnten.
Weltweiter Handel
Leinen aus Oberösterreich genoss zu dieser Zeit weltweit einen ausgezeichneten Ruf. Um diesen aufrecht zu erhalten, erließ Karl VI. anno 1730 die Universal-Leinwath-Bschau und Blaicher-Ordnung für Oberösterreich, in der die Qualitätskriterien festgelegt wurden. Fortan waren alle Webstücke den behördlichen Beschaumeistern vorzulegen. Diese kontrollierten, ob das Garn gleichmäßig ist und der Stoff die vorgeschriebenen Maße hat. Ware, die den Kriterien nicht entsprach, wurde zurückgestellt und konnte sogar konfisziert werden.
Bedeutung der Leinenhändler
Von Ende des 17. Jahrhunderts bis Mitte des 19. Jh.s erlebte der Leinenhandel im oberen Mühlviertel seine Blütezeit. Die Leinenhändler sorgten dafür, dass die Ware weltweit Verbreitung fand. Hauptabsatzgebiete waren Italien und Ungarn. Der Handelsverkehr wurde im Wesentlichen auf den großen Märkten in Bozen und Wien abgewickelt. Die Ware wurde mit dem Fuhrwerk nach Bozen gebracht und auf der Donau nach Wien verfrachtet. Im Verlauf des 18. Jahrhunderts übertraf die Zahl der Leinwandhändler in Neufelden die der Leinenweber-Zunftmeister. Das zeigt die große Bedeutung des Leinenhandelsplatzes zu dieser Zeit.
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Die Kaufleute kamen nicht nur zu Reichtum und Ansehen, sie hatten auch öffentliche Ämter inne und sollten als Wohltäter in die Geschichte des Marktes eingehen. Die großen Namen in Neufelden waren Andre Campmiller, Matthias und Jakob Öhner, Johann Karl Stölzl, Anton Hummel, Eberhard Löffler und Franz-Josef Peßler.
Prachtvolle Architektur Neufeldens
Der Wohlstand der Leinenhändlerfamilien Neufeldens war an deren Tracht und dem Schmuck ihrer Häuser ersichtlich. Häuser wurden renoviert, aufgestockt und mit prächtigen Fassaden geschmückt. Mit dem barocken Baustil eiferte man dem prachtvollen Kirchenbau nach. Die barocken, teilweise klassizistischen Häuserfassaden stammen aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Typisch für den Baustil sind die sogenannten Glockenfenster, die in ihrer Anzahl in der ganzen Umgebung einmalig sind. Laut Überlieferung sollen sie von italienischen Architekten abstammen, die mit dem Bau der Fassaden beauftragt waren. Einige Giebel wurden renoviert oder erst nach dem 18. Jahrhundert hinzugefügt. Meist aber sind die Häuser selbst älteren Datums.

An den Leinenhandel von Neufelden erinnert noch eines der ältesten Häuser der Gemeinde – das Campmiller-Haus. Die Besitzgeschichte des Hauses ist mit Andre Campmiller seit 1718 archivarisch belegt. Campmiller (1651 – 1739) war Leinwandhändler und Altrichter von Neufelden. Die Familie hatte keine Nachfahren und bis 1854 war das Haus in Besitz der reichsten und angesehensten Leinenhändler von Neufelden. 1985 wurde das ehemalige Bürgerhaus mit renaissancezeitlichem Kern und josephinisch-frühklassizistischer Fassade unter Denkmalschutz gestellt. 2019 wurde es von der Simentum Management & Beteiligungs GmbH gekauft und aufwändig renoviert.
Konkurrenz durch die Einführung der Baumwolle
Im November 1805 wurde Neufelden im Zuge der Napoleonischen Kriege von französischen Truppen besetzt und durch außerordentliche Quartierlasten stark geschädigt. Die langjährigen Kriege legten den Leinenhandel lahm und die früheren reichen Absatzgebiete gingen verloren.
Darüber hinaus hatte der Leinenhandel durch die Einführung der Baumwolle mächtige Konkurrenz bekommen. Baumwolle wurde in großen Mengen in Amerika angebaut und zunehmend maschinell gesponnen und gewebt. Dadurch konnte diese zu so geringen Preisen angeboten werden, dass sie das Leinen weitgehend verdrängte.

Industrialisierung der Leinenproduktion
Im 18. Jahrhundert siedelten sich im oberen Mühlviertel Unternehmen an, die sich nicht nur auf das Weben, Bleichen und Färben von Leinenstoffen spezialisierten, sondern auch den Handel damit betrieben. Die größten Betriebe wurden von Mailänder Bankiers gegründet. Einer davon war Johann Niclaus Vonwiller (1783–1854), der zu den größten Industriepionieren Süditaliens zählte. Er begann nach dem Wiener Kongress (1814-1815) auf den Wochenmärkten in Haslach Leinen zu kaufen, um es in Italien zu vertreiben.
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1819 gründete er eine Niederlassung in Haslach für die Herstellung von Leinen durch ansässige Heimarbeiter. Er verkaufte ihnen Arbeitsgeräte sowie Rohmaterialien wie Seide und Baumwolle und kaufte ihnen die fertige Ware ab. 1830 begann er mit dem Bau einer eigenen Weberei in Haslach. Auf dem Fabrikareal wurde gesponnen und gewebt. Appreturarbeiten wurden mit Wasserkraft durchgeführt. In den 1840er-Jahren beschäftigte Vonwiller rund 360 Weber und expandierte weiter: So kam eine Tuchfabrik im böhmischen Senftenberg, eine Niederlassung in Brünn sowie 1846 eine Filiale des Mailänder Bankhauses in Verona hinzu. Die Textilfabrik sollte bis 1999 bestehen.

Niedergang der Leinenproduktion
Den zweiten Großbetrieb errichtete Pietro Simonetta ab 1840 in Helfenberg. Er beschäftigte in der Blütezeit der Leinenweberei 1200 Personen. Zusätzlich waren in der Umgebung noch etwa 2000 Weber mit Heimarbeit beschäftigt. 1864 musste Simonetta Konkurs anmelden und 1889 wurde die Leinenweberei von Hugo Hahn aus dem Waldviertel übernommen. Ab 1919 war das Unternehmen im Besitz der Familie Matthäus Gollner aus Haslach, und wurde von dieser bis 2015 fortgeführt. Sein Neffe Ernst investierte 1955 etwa 20 Millionen Schilling in den Maschinenpark. Eine enorme Summe, die er aus eigenen Betriebsmitteln aufgebracht hatte. Nach heutiger Kaufkraft wären das 30 Millionen Euro.
Produktionsauslagerung in Niedriglohnländer
In den 1990er Jahren erfolgte die Auslagerung der Textilproduktion in Niedriglohnländer. Nur wenige Mühlviertler Leinenwebereien überlebten. Darunter das 1853 in Ulrichsberg gegründete Familienunternehmen Leitner Leinen, das seit 2022 von der sechsten Generation geführt wird.
Auch die Leinenweberei Vieböck fand den Anschluss an die neue Zeit. 1832 in Schönegg bei Helfersberg gegründet, wurde das Familienunternehmen zuletzt vom langjährigen Verkaufsleiter Johann Koberl übernommen. Vieböck ist eine der handverlesenen Leinenwebereien weltweit, die mit den Biogütezeichen GOTS und IVN BEST zertifiziert sind.
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Erhaltung des immateriellen Kulturerbes
Mit der Industrialisierung und den mechanischen Webstühlen wurde den Webern im oberen Mühlviertel ihre Arbeit entzogen. Durch den Import von Baumwolle und synthetischen Fasern ist Leinen völlig in den Hintergrund getreten. Heute wird Flachs fast nur mehr für die Leinölproduktion angebaut. Die Verarbeitung von Flachs bis zum Fertigprodukt und die dafür notwendigen Geräte zeigt das Webereimuseum Haslach an der Mühl. Der Träger des Projekts Textiles Zentrum Haslach ist der Verein Kultur in der Fabrik. Die Einrichtung soll der allgemeinen Tendenz der Abwanderung Textilen Wissens und Kulturbewusstseins entgegenwirken. 2015 wurde das Textile Zentrum Haslach (OÖ) in das internationale UNESCO-Register guter Praxisbeispiele für die Erhaltung des immateriellen Kulturerbes aufgenommen.
Das Textile Zentrum Haslach befindet sich in der ehemaligen Textilfabrik Vonwiller, die 1999 aufgrund der Auslagerung der Textilproduktion in Niedriglohnländer schließen musste. Das Industrie-Objekt wurde ab 1830 auf den Grundfesten von acht Bürgerhäusern zwischen den Haslacher Wehranlagen und der Großen Mühl errichtet. Das Unternehmen produzierte hochwertige Stoffe und exportierte weltweit. In alten Musterbüchern vom Beginn des 20. Jahrhunderts findet man verschiedene Jacquardstoffe,die von der hohen Qualität der Stoffe zeugen. Heute ist die Anlage denkmalgeschützt und im Besitz der Gemeinde Haslach.

Die Recherche zu diesem Artikel entstand im Zusammenhang mit einer Ausstellung im Campmiller Haus am Tag des Denkmals am 25. September 2022. Die Ausstellung gestaltete Wolfgang Langeder, der Gründer des Labels Skarabeos.
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