Real-Time Fashion a la Shein hat die Eigenschaften, die die Europäische Union aus der Modeindustrie verbannen will – sie ist ressourcenintensiv und kurzlebig. Es gibt aber auch Ansätze, Fast-Fashion nachhaltig herzustellen – mit vollautomatisierter Produktion und biologisch abbaubaren Materialien. Ziel ist es, die Kleidung gleich dreidimensional zu konzipieren, um den aufwändigen Nähprozess zu eliminieren.
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Die Mode definiert sich über den permanenten Wandel. Aber seit Fast-Fashion Unternehmen wie Shein Echtzeitmode eingeführt haben, wurde der Wandel immer schneller – und das Angebot ist verführerisch: Denn Laufstegmodelle werden mit hoher Geschwindigkeit umgesetzt und kosten am P.O.S. nur ein paar Euros. Dadurch können Verbraucher den Trends folgen, ohne nachdenken zu müssen, ob sie sich das leisten können. Eine der Folgen ist Hyperkonsum; Eine weitere ist Überproduktion – denn nicht alles, was angeboten wird, wird auch verkauft. So entstehen textile Müllberge, die die Umwelt belasten.

Ökologisches Design
In der Europäischen Union hat man schon realisiert, dass sich der Markt nicht von selbst reguliert und arbeitet an verschieden Strategien. Kleidung soll schon ökologisch designt werden, so dass sie entweder biologisch abbaubar ist – oder technologisch wiederverwertbar, d.h. recyclingfähig. So soll eine Kreislaufwirtschaft etabliert werden und die Umwelt nicht länger mit Textilmüll belastet. Die Durchsetzung der Strategie erfolgt über Zertifizierungen, wie z.B. Cradle-to-Cradle. Auf der Smart Textiles Platform Austria in Vorarlberg wurde etwa ökologisches Design für hochwertige Unterwäsche entwickelt – und Wolford, einer der Forschungspartner, erhielt die Zertifizierung schon 2018.
Unterwäsche besteht aus bis zu 50 Komponenten und stellt hohe Anforderungen an Recycling, das nur mit sortenreinem Abfall funktioniert. „Mischfasern scheiden von vorherein aus – aber es gibt auch andere Inhaltsstoffe von Stoffen, die nicht recyclingfähig sind – wie z.B. Farbstoffe oder die Kunstharzbeschichtung von bügelfreien Baumwollhemden“, so Günther Grabher, der Leiter der Smart Textiles Platform. Deshalb werden in den Cradle-to-Cradle Zertifizierungen Inhaltsstoffe von Textilien sehr präzise in parts per million (ppm) untersucht.
Weiters weist Grabher auf die EU-Strategien hin, die nur mit hohem Aufwand umzusetzen sein werden. So werden etwa Marken verpflichtet, ihre Produkte nach Gebrauch zurücknehmen und zu reparieren oder dem Recycling zuzuführen. Der Modediskonter H&M will seine Hyperproduktion aber trotzdem fortsetzen. Er hat sich an Renewcell beteiligt, dem schwedischen Hersteller einer kreislauffähigen Faser – und verlautbarte, die CO2-Emissionen halbieren und den Umsatz verdoppeln zu wollen.
Biologisch abbaubare Fasern
Neuartige biologisch abbaubare Fasern wie Algen oder Mikroorganismen würden die Umwelt wesentlich weniger belasten als Recycling, weil auch der ressourcenintensive Anbau wegfallen würde. Allerdings müssen sie noch beforscht werden – vor allem, um deren Materialleistung an die von Textilien anzugleichen. Ein Beispiel dafür ist das niederländische Start-up Neffa. Gründerin Aniela Hoitink hat ein auf Mycelium (Pilzwurzel) basierendes holistisches Konzept entwickelt, um Verbrauchern eine nachhaltige Alternative zu Fast-Fashion zu ermöglichen.
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Mycelium kann in wenigen Tagen gezüchtet werden, ist kostengünstig und die Kleidung kann nach der Nutzung einfach in der Erde vergraben werden. In der Herstellung arbeitet Hoitink mit einem Fermentationsprozess und lässt das Material dann in Pastenform von einem Roboterarm auf eine dreidimensionale Form aufbringen, wo sie trocknet. Mit dem Verfahren könnte Kleidung nahtlos und in einem Stück hergestellt werden. Im Moment arbeitet Hoitink mit dem deutschen Industriemaschinenhersteller DESMA an der Skalierung.

Dreidimensionale Konstruktion
In der traditionellen Modeproduktion wird flach in 2D designt und zugeschnitten und dann zu dreidimensionalen Stücken zusammengefügt. Das ist sehr arbeitsintensiv. Der dreidimensionale Ansatz wäre insofern interessant, als er die Möglichkeit des Modellierens birgt. D.h., man kann nicht nur an der Form arbeiten, sondern auch am Material. Bei 3D-Druck etwa erfolgt die Modellierung über den pixelartigen Aufbau und die temporäre Verflüssigung von festen Stoffen. In Verbindung mit 3D-Bodyscan könnte so eine perfekte Passform erreicht werden. Vor allem aber könnte individualisierte Kleidung in Massen produziert werden. Das Geschäftsmodell: 3D-Designer bieten ihre Entwürfe online an und lokale Maker-Shops wickeln 3D-Bodyscan und Druck ab.
3D-Druck bringt spektakuläre Formen hervor und wäre ein perfekter Anwärter für die Modeproduktion. Die in L.A. lebende österreichische Architektin und 3D-Designerin Julia Körner ist eine der gezählten KünstlerInnen weltweit, die 3D-Design auf Mode anwenden können. Sie hält es für möglich, dass die Technologie in Zukunft in der Fast-Fashion eingesetzt wird, „weil einige Eigenschaften von 3D-Druck auf das Echtzeit-Modekonzept zutreffen“ so Körner. Bis dato werde aber noch mit Kunststoffen gedruckt, die in ihrer Materialleistung nicht mit Textilien vergleichbar sind. Baumwolle und Seide könne man noch nicht drucken. Zudem seien 3D-gedruckte Artikel auch noch teuer – u.a. wegen des aufwändigen digitalen Designs.
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In ihrem eigenen Label JK3D zeigt sie, was im 3D-Druck schon möglich ist: Sie designt und fertigt Modeaccessoires mit biologisch abbaubaren und pflanzlichen Materialien aus der Region in 3D – auf Anfrage. Die Herstellung dauert nur ein paar Stunden. Durch die Fertigung in Wien und L.A. können auch die CO2-Emissionen im weltweiten Versand reduziert werden.

Automatisierte Fertigung
Das Start-up Yokai Studios nähert sich mit seiner Innovation an die dreidimensionale Konstruktion an – arbeitet aber noch mit konventionellen Textilien. Es entwickelte eine roboterbasierte Maschine, die im 3D-Raum arbeiten und einzelne Schnitteile auf der Puppe zu einem Kleidungsstück zusammenfügen kann. Der Schnitt beugt sich der Methode und kommt mit möglichst wenigen Nähten aus. Für die Ausführung der Fügemethode wurden Teile eines 3D-Druckers modifiziert, die es ermöglichen, die Schnittteile in einer Art Bonding aneinanderzufügen. Entwickelt wurde das Verfahren von Viktor Weichselbaumer und Michael Wieser im Studium am Institut für Fashion & Technology an der Kunstuniversität Linz.
Für die Fügemethode hat das Start-up den proof-of-concept schon erbracht. Langfristig soll der Roboter auch den Zuschnitt übernehmen und innerhalb von Minuten ein Kleidungsstück on-demand und nach Maß realisieren – basierend auf 3D-Bodyscan – also nach Maß. Auch Weichselbaumer schließt nicht aus, dass der Roboter zu einer Strategie gegen die Überproduktion in der Fast-Fashion werden könnte. Zuvor brauche es aber auch hier noch Forschung. Gefragt sei eine Greiftechnologie, die Textilien schnell und sicher greifen, schneiden und formen kann. Vor allem taktile Sensoren sowie AI-basierte Bildanalyse müssen weiterentwickelt werden, so Weichselbaumer. Das perfekte Material wären auch hier Kunststoffe wie Algen oder Mikroorganismen, die biologisch abbaubar sind.
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Fazit: Mit hohem technologischem Aufwand wird nachhaltige Fast-Fashion in unbestimmter Zukunft auf eine oder mehrere Arten realisierbar sein. Aber sie wird nicht nur ein paar Euros kosten. Gleichzeitig werfen erste digitale Modehäuser wie The Fabricant die Frage auf, ob Mode überhaupt noch produziert werden muss. Denn wenn Menschen ständig über ihre digitalen Identitäten in den Sozialen Medien kommunizieren, dann könnte sie auch virtuell bleiben. Im Alltag könnte dann langlebige Kleidung getragen werden, die umweltfreundlich ist.

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Hildegard Suntinger
