Meeresplastik klingt wie DIE Lösung eines der großen Probleme in der Nachhaltigkeitskrise der Modeindustrie. Aber allzu schön, die Vorstellung von sauberen Meeren und recyceltem Plastikmüll, der neue begehrliche Produkte ermöglicht. Denn tatsächlich sind sowohl die Säuberung der Meere als auch das Recycling von Meeresplastik extrem aufwändige Prozesse, die nicht nachhaltige sind – das berichtete Schrot & Korn in seiner Ausgabe 08/2022 (S. 29-33).
Einer 200-Seiten Studie von der Industriestaatenorganisation OECD (Autor: Shardul Agrawala) zufolge, hat sich die Produktion von Plastik seit Beginn des Kunststoffbooms in den 1950er Jahren um das 230-fache erhöht. Seit Beginn des Jahrtausends hat sich die weltweite Jahresproduktion fast verdoppelt: Waren es 2000 noch 234 Millionen Tonnen, so waren es 2019 schon 460 Millionen. Die Menge das Plastikmülls hat sich in diesem Zeitraum mehr als verdoppelt und liegt bei 353 Millionen pro Jahr.
Makroplastik – Haupttreiber für die Plastikflut
Als Haupttreiber für die Plastikflut gilt kurzlebiges Makroplastik – das sind Produkte mit einer Lebensdauer von weniger als fünf Jahren. In diese Kategorie fällt auch Billigmode. Der kurzen Nutzungszeit von Plastik steht eine lange Haltbarkeit und damit eine beständige Anreicherung in der Umwelt gegenüber. Schon heute treiben nach Berechnungen der OECD 30 Millionen Tonnen Plastik im Meer, 100 Millionen Tonnen bedrohen das Leben in Flüssen und Seen.
Schwieriges Recycling
Die Textilindustrie zählt zu den Top 3 der globalen Plastikmüllproduzenten. Kunstfasern werden aber selten pur verwendet, sondern in Mischungen. Die Gründe dafür sind verschieden. Kunstfasern können Socken zum Beispiel haltbarer, Mäntel leichtgewichtiger und Badekleidung schnelltrocknend machen. Weiters werden bei der Herstellung von Textilien chemische Zusatzstoffe wie Weichmacher oder Färbemittel verwendet. Was der Optik und dem Tragekomfort zuträglich ist, gestaltet sich im Recycling äußerst schwierig. Denn Schadstoffe müssen mühsam ausgewaschen werden – und um Fasern so zu trennen, dass sie weiterverwendet werden können, bedarf es raffinierter Recyclingmethoden, die es erst in Ansätzen gibt.
Aufwändiger Umwandlungsprozess
Landen Textilien im Meer, dann kommen mit der Zeit noch andere Schadstoffe hinzu – sowie weitere Anhaftungen wie Sand und Muscheln. Um diesen verunreinigten Rohstoff weiterverwenden zu können, brauche es eine ausgezeichnete Analytik und eine erstklassige Sortierung. Ein Zerlegen ist nur mit hohen Energieaufwand sowie dem Einsatz von Enzymen, Lösungsmitteln und weiteren Chemikalien möglich. Erst dann können die Polymere in ihre Moleküle getrennt und zu neuen Fasern zusammengebaut werden, erklärt Kai Nebel, der den Forschungsschwerpunkt Nachhaltigkeit und Recycling an der Hochschule Reutlingen leitet, in einem Artikel im Magazin 08/22 Schrot & Korn.

Technisch sei das möglich, allerdings nur mit enormem Aufwand, so der Nachhaltigkeitsforscher – und weiter: „Jedes Kilo Plastik im Meer weniger ist ein Gewinn. Aber die Idee, aus Meeresmüll Plastik herzustellen, ist aus Sicht der Nachhaltigkeit ein Unsinn“. Problematisch an Mode aus Meeresplastik sei der Umwandlungsprozess, der enorm aufwändig ist und dabei Produkte hervorbringt, die nicht recycelbar sind. D.h., das Produkt, das aus dem recycelten Meeresplastik entsteht, scheidet nach seinem Lebenszyklus aus dem Kreislauf aus und landet erst recht wieder auf der Müllhalde.
PET in der Modeproduktion
Um ihre Produkte als ‚Made from Ocean Plastics‘ deklarieren zu können, greifen Produzenten oft auf Plastikmüll aus PET-Flaschen zurück. Diese werden jedoch nicht aus den Tiefen der Ozeane gefischt. Vielmehr werden sie in Küstenregionen an Land gesammelt. Ein Großteil des Ozeanplastiks dürfte nie mit dem Meer in Berührung gekommen sein.
Experten sehen die Verwendung von PET-Flaschen in der Kleiderproduktion kritisch. PET sei eines der wenigen Kunststoffprodukte, für das es einen funktionierenden Recycling-Kreislauf gebe: Aus Flasche wird Flasche. Entzieht man sie dem Kreislauf, um daraus Textilien zu machen, müssen die fehlenden Flaschen nachproduziert werden.
Funktionierender Kreislauf
Als Fortschritt im umweltfreundlichen Recycling wird die Methode des italienischen Unternehmens Aquafil gewertet. Das Unternehmen erhielt 2014 den Sonderpreis ‚Ressourceneffizienz’ des Deutschen Nachhaltigkeitspreises für die Entwicklung von Polyamidfasern, die unter dem Namen Econyl bekannt sind. Aquafil hat es geschafft, einen funktionierenden Stoffkreislauf für Polyamid zu entwickeln. Das Unternehmen recycelt ausrangierte Fischernetze und verarbeitet sie zu textilen Fasern.
Gesellschaftliches Umdenken
Langfristig brauche es aber Gesetze und gesellschaftliches Umdenken, um die Plastikflut einzudämmen, so der Ökonom und Biologe Joachim H. Spangenberg in oben genanntem Artikel. Problematisch sei schon allein der Modebegriff, der impliziert, dass Kleidung aussortiert wird, wenn sie aus der Mode gekommen ist und nicht, weil sie am Ende ihres Lebenszyklus angekommen wäre. Auch hänge das Sozialprestige am Besitz des ständig Neuen und nicht an der langen Nutzung von Dingen.
Viola Wohlgemuth von Greenpeace, fordert in diesem Artikel, dass zehn Prozent der innerstädtischen Verkaufsflächen bis 2030 für Second-Hand Läden zur Verfügung stehen. Leihen – Teilen – Tauschen – Reparieren – diese Konzepte müssen das neue Normal werden – und so cool wie die Boutique mit neuen Kleidern, so die approbierte Pharmazeutin im oben genannten Artikel. Sie arbeitet seit 2018 bei Greenpeace Deutschland als Konsum-Expertin mit den Schwerpunkten Ressourcenschutz, Plastikmüll und internationale Lieferketten.
Hildegard Suntinger
