Das Hipstertum nahm seinen Ausgang im New York und San Francisco der späten 1990er Jahre. Immer wieder totgesagt und in Antihipster-Blogs verhöhnt, hält es sich dennoch hartnäckig.
Der Hipster ist der männliche amerikanische Weiße aus der Mittelklasse. Als seine spirituelle Heimat gilt Portland, Oregon. Die sogenannte »Green Town« rangiert auf Platz zwei der »America’s Top 10 Cities for Hipsters« (Travel & Leisure Magazine Sommer 2012). Kennzeichnend sind ein nachhaltiger und gleichzeitig rasanter Lebensstil – der sich z.B. in lokal gebrautem Bier, Fahrradkultur, Second-Hand Shops und Technikaffinität zeigt. Hippe Restaurants und Musikbands wechseln im Drei-Monatsrhythmus. Eine eingehende Betrachtung des subkulturellen Phänomens bietet das Buch »What was the Hipster«. Die Autoren geben es – typisch Hipster – nicht zu, dass sie selbst dazugehören. Dass der Titel in der Vergangenheit handelt, zeugt von der Schnelllebigkeit des Protagonisten und dem Zweifel der Autoren an dessen anhaltender Existenz.
Klar ist, dass es sich bei dem Phänomen um eine ästhetische Bewegung handelt. Der Code des Hipsters – Trucker Cap, dick gerahmte Brille, Tätowierung und/oder Bart, skinny Jeans, große Gürtelschnalle, T-Shirt mit ironischem Print – ist in der vergangenen Dekade zur globalen Brand geworden. Unklar ist – selbst in Hipsterkreisen – ob es sich auch um eine politische Bewegung handelt. Die Buchautoren verfolgen verschiedene Ansätze in der Erklärung der komplex verwurzelten Subkultur.
Jüngere Geschichte
Mark Greif, leitender Redakteur beim gesellschaftskritischen Magazin n+1 in New York und federführender Redakteur des Buches, ortet die Wurzeln der jüngeren Hipster-Geschichte in der Post-Punk DIY-Bewegung der 1980er Jahre. Demnach waren Inhalte des Hipstertums tendenziell auch schon in Jugendsubkulturen zuvor vorhanden. Assoziiert Greif Vertreter von Jugendsubkulturen i.d.R. mit Snobs, Sammlern und Kennern, so beobachtet er beim Hipster einen neuen Aspekt: den Anspruch auf Wissen. Der Hipster wisse um das richtige Vintage-T-Shirt, die richtigen Jeans oder das anlassspezifisch richtige Essen. Zitat:
»Es ist der Erwerb und die Zurschaustellung von Geschmack sowie der Mechanismus der Abgrenzung in immer noch trivialerer Form, der den Hipster von vorangegangenen Subkulturen unterscheidet.«
Im Buch werden der Widersprüchlichkeit der Figur des Hipsters u.a. auch postmoderne Züge zugeschrieben. Im postmodernen Kapitalismus findet der Konsument zunehmend Selbstverwirklichung im Konsum. Und tatsächlich ist der Hipster per Definition nicht der Kunstproduzierende sondern eher der Kunstliebhaber. Er kreiert nicht selbst, ist eher eine Art Kritiker – zynisch und selbstbewusst.
Theorie: Sehnsucht nach einer eigenen Kultur
Unter Annahme einer antikapitalistischen Haltung handelt der Hipster aus Sehnsucht nach einer eigenen Kultur, die sich in Nostalgie und Konsumrebellion äußert.
Anfällig dafür seien unzufriedene Jugendliche in ihren Zwanzigern, die wohl Geld – und/oder kulturelle Werte wie einen Universitätsabschluss oder gute Erziehung – haben, aber nichts was sie fordern würde. Dadurch können sie sich Dingen wie Surfen oder subkultureller Gruppenzugehörigkeit widmen, so ein Kommentar von Dave Clooney. Warum die Nostalgie der Hipster ausgerechnet den 1970er und 1980er Jahren gilt, versuchen die Autoren mit zwei verschiedenen Argumentationslinien zu erklären:
Nach Nick Delaney gilt die Sehnsucht einer Zeit, in der es noch einfach war aus der bürgerlichen Gesellschaft auszusteigen und selbst in Metropolen ein unkonventionelles Leben zu führen. Den ästhetischen Beleg für diese Theorie liefert die Popularität von Vintage-Shirts. Ursprünglich für den patriotischen Durchschnittsamerikaner produziert, sind die T-Shirt- Motive so uncool, dass sie schon wieder cool sind. Ein Effekt, der in der Szene mit dem Begriff »ridicool« formuliert wird.
In der zweiten Argumentationslinie, die u.a. auch Greif vertritt, gilt die Sehnsucht des Hipsters den intensiven Gefühlen der eigenen Kindheit, die in Form von Musik, Film und Kleidung – aber auch Verhalten – zurückkehren sollen.
In beiden Fällen handelt es sich um eine Reproduktion von Dingen, die zuvor Teil des Mainstream-Marktes waren. Der Akt der Reproduktion wird als Rebellion gedeutet. An dieser Stelle kommt auch das Thema Klasse ins Spiel: Wie Greif feststellt, steuert der Hipster – indem er zu Trucker Cap und Gürtelschnalle greift – zurück in eine Kultur, in der Klassengrenzen noch nicht so klar gezogen waren.
Online-Kapitalismus
Die Autoren sehen im Hipstertum das erste Trendphänomen, das sich online verbreitet hat. Die stylishen Accessoires und die sozialen Impulse, die seinen Charakter geprägt haben, wurden via www Teil des globalen Mainstream. Der Hipster nutzt sowohl in Aneignung als auch Zurschaustellung von Geschmack das Internet – und seine Moden breiten sich via Social Media Seiten schnell und weltweit aus. Zitat Jayce Clayton:
»Als solches steht der Aufstieg des Hipsters auch für die schwindende Zeitspanne vom Ausdruck eines individuellen Styles bis zu etwas Photographiertem, Gebloggtem, Berichtetem, Trendgewordenem, Vermarktetem und Verkauftem.«
Der negative Effekt der weitverbreiteten Internetnutzung ist, dass es kaum noch etwas gibt, das nicht jeder unmittelbar besitzen kann. Daraus resultiert ein kreativerer Konsum und die Entdeckung neuer Dinge, die noch nicht lahm und »hipster« geworden sind. Zitat Rob Horning: »Der Hipster ist dann das Schreckgespenst, das uns davon abhält zu beständig in unserer Identität zu werden und treibt uns vorwärts zu immer neuen Moden.« Eine Schnelllebigkeit, die in der Szene mit T-Shirt-Slogans wie »The End of New« oder »Burn after Reading« kommentiert wird.
Konspiration
Auch die postmoderne Erkenntnis, dass es mehr als nur eine Wahrheit gibt, unterstützt die Deutung des Phänomens Hipster. Offenbar wird diese Haltung in der vielbesagten Ironie, die nicht nur auf T-Shirts zur Schau gestellt wird, sondern auch in konspirativen Handlungen wie sie etwa das Vice Magazin pflegt. U.a. war es die Übersiedlung des Online- und Print-Magazins von Canada nach New York 1999 die das Geburtsdatum des Hipstertums markiert. Der Name des Magazins (Vice = zu dt.: Laster, Untugend) ist Programm. Es verhält sich in Fragen von Geschlecht und Rasse ganz offen politisch unkorrekt. MacInnes, einer der Gründer, scheint politische Korrektheit als reinen Akt der Höflichkeit zu sehen, wenn er sagt: »We seem really racist and homophobic because we hang around with fags and niggers so much. It just becomes part of our vernacular.«
Eindeutig zeichnet sich die Figur des Hipsters erst in der Abgrenzung von seinem Feindbild ab – dem »Modellbürger« der amerikanischen Gesellschaft, verächtlich »Douchebag« genannt, so der Autor Robert Moor. Im Kontrast zum Hipster möchte der Douchebag ganz und gar nicht markiert werden und er möchte vor allem eines nicht: eigenartig erscheinen. Er ist zu jeder Zeit ein treuer Konsument und ein eifrig Mitwirkender der Gesellschaft. Er würde alles für die Gesellschaft tun und erwartet sich im Gegenzug ein Minimum an Respekt. Dieser Respekt gründet nicht auf Einzigartigkeit sondern auf Normalität. Das ist genau das was der Hipster vorenthält.
Mehrere Ereignisse markieren 1999, das Geburtsjahr der Hipster:
– die zunehmende Verbreitung des Internet,
– die Gründung des noblen Sneaker Stores »Alife Rivington Club« in Manhattan,
– die Übersiedlung des Vice Magazin von Kanada nach New York und
– die Gründung des Modelabels American Apparel.
Hipsterhass
Auf einer steigenden Zahl von Hipster-Hass-Sites im Internet werden Hipster als Modenarren verhöhnt, die sich mehr um das »nächste große Ding« kümmern, als um das Wohlergehen ihres Nächsten. In seiner Rolle als hungernder Künstler oder Student, Neo-Bohemian, Veganer, Radfahrer, Skate Punk, etc. passt er sich sowohl der rebellischen Subkultur als auch der dominanten Klasse an. Sein Motto: Vom System profitieren, ohne sich zu unterwerfen.
Dass auch an der physischen Erscheinung des Hipsters Kritik geäußert wird, erklärt die Autorin Jennifer Baumgardner mit Homophobie: Hipsterhass als eine Ablehnung von Männern, die sich zu sehr um ihr Aussehen kümmern. Statistisch gesehen ist der Hipster männlich. Schmaler Körperbau, skinny Jeans und modische Frisur führen allerdings zur Feminisierung. Auch dass er eine Sammelleidenschaft für möglichst rare Sneakers hat, unterscheidet ihn von seinen angepassten Geschlechtsgenossen. Womit auch erklärt wäre, warum die Gründung des exklusiven Sneaker Stores »Alife Rivington Club« in 1999 ein weiteres Ereignis war, welches das Geburtsdatum des Hipstertums markiert. Im Manhattaner Store werden Sneakers in ausgeleuchteten Mahagoni-Kuben präsentiert …
Der weibliche Hipster: das It-Girl
Die Autorin Dayna Tortorici vermutet, dass Frauen in der Diskussion bisher untergegangen sind, weil Mode als eine ihnen vertraute Domäne betrachtet wird. Als solches sei das privilegierte Wissen des weiblichen Hipsters nicht subkulturell oder intellektuell. Ein Sinn für ästhetische Fragen im Hinblick auf Mode sei weniger dazu angetan, Machtstrukturen in Frage zustellen als sie von innen her zu stärken. Anders als ihre männlichen Kollegen unterstellt Tortorici auch männlichen Hipsters ein bloßes Spiel mit äußerlichen Kennzeichen. Denn ein Hipster sei jemand, der aussehe wie ein Hipster.
Symptomatisch für den weiblichen Hipster sei weniger ihre physische Erscheinung als ihre Selbstpräsentation und die Medien, die sie dazu nutzt: Party-Photographie und Selbstphotographie – meist in Polaroid-Ästhetik. An diesem Punkt kommen erneut postmoderne Theorien ins Spiel, die Wirklichkeit als eine medial produzierte Hyperrealität betrachten. Die Posen der Mädchen auf den Partyphotographien deutet Tortorici als »Spiel mit sexueller Unterwerfung«: sie starren geradewegs und meist ohne Lächeln in die Kamera und sehen verführerisch oder gelangweilt aus. Manchmal zeigen sie sich auch mit nacktem Oberkörper.
Als der ikonische Hipster wird Cory Kennedy gehandelt. Sie war die Freundin von Mark Hunter – 2003 einer der ersten Blogger. Er stellte Party-Photos von Cory auf seinen Blog Cobra Snake Web und »Cory wurde berühmt für ihr berühmt sein«, so Tortorici. Blass und knochig mit zerrauftem Haar, abgeschabten Ellbogen, aufgeschlagenen Knien und wachsartigen schweren Augenbrauen. Sie trug zerrissene schwarze Strumpfhosen und klobigen Schmuck an den Armen, setzte sich auf jeden Boden und machte alberne, kindische Dinge. Immer wenn Hunter Fotos von Kennedy auf Cobra Snake Web postete, kam es zu einer Überlastung des Servers. Es waren hauptsächlich Mode Communities, die darauf zugriffen.
Hipster-Modus als kultureller Aufstieg
Die Essenz von Subkultur sieht Greif in Differenzierung und darin, dass sie unvermeidbarer Erfahrung von Differenz ein positives Profil geben kann. Personen, die Anschluss an eine Subkultur suchen, stimmen philosophisch oder ideologisch nicht mit dem Mainstream überein, oder sind im herrschenden sozialen Wettbewerb gehandicapt. Das erklärt auch, warum sich speziell Jugendliche im Alter von 14-18 Jahren subkulturell formieren. Der Defizit wird zum Vorteil, wenn er in der Gruppe solidarisch vertreten wird. Der Loser, der es nicht geschafft hat, ins Football Team zu kommen, wird zum Skater, der Nerd wird zum Spieler, der Linke wird zum Punk. Gruppierungen mit dem Zweck gegenseitiger Schätzung und Verteidigung sind insbesondere bei Furcht vor willkürlicher Autorität begünstigt.
Im Alter von 22 Jahren, wenn ambitionierte College-Absolventen an die Universitäten in die Metropolen reisen, kann Subkultur eine neue Rolle spielen. Aus einer hohen Status-Position kommend, sind sie in den Städten plötzlich ohne Positionierung und ohne Einkommen und erfahren eine Deklassierung. Nach wie vor besitzen sie jedoch enorme Reserven von dem was Pierre Bordieu kulturelles Kapital nennt. Bestimmte Arten von Subkultur erlauben eine Remobilisierung des kulturellen Kapitals unter Alterskohorten und Differenz wird erneut zur Strategie der Deklassierung zu entgehen. Demgemäß gewährleiste der Hipster-Modus Differenz im Streben nach kulturellem Aufstieg, so Greif. Dazuzugehören bedeute den Gewinn einer Art Zukunftsüberlegenheit. Wenn jemand in hipper Kleidung an der Bar arbeitet oder nachts in einer Band spielt, werde er immer einen höheren kulturellen Status genießen als der Banker der in seinem Button-down Hemd Wodka bestellt. Wenn erst ein akademischer Abschluss erreicht ist, und die Person in eine Firma eintritt, hat sie die Mittel im Wettbewerb der Metropole zu bestehen und die Vorteile auf der traditionellen Basis von Einkommen und Klassendominanz auszuschöpfen. Sie fällt aus der Subkultur und aufwärts in den Mainstream.
Begriff Ursprung
Der Hipster des Jahres 1999 gilt als Metamorphose des originären Hipsters aus den 1940er und 1950er Jahren – der Zeit der US-amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. Der Autor Norman Mailer, der damals Bürgermeister von New York werden wollte, verfasste dazu den Essay »The White Negro« (1957). Darin beschreibt er einen amerikanischen Existenzialisten, der die Attitude der afro-amerikanischen Jazzer adaptiert um sich selbst von der Durchschnittlichkeit zu befreien. Mailer verfolgte die Theorie, dass die Suche nach sozialen Moden des Ausdrucks der Schwarzen eine Suche nach Quellen und Symbolen für Stolz und Macht sind. Die Beatniks und Hipsters der 1960er Jahre führten den Begriff »Hippie« ein. Hippie stand damals für »kleine Hipster, die nur Gras rauchen und tanzen wollen aber nichts von Jazz, Politik oder Poesie verstehen« (Greif).
Wenn der »White Negro« einst »Schwarzsein« idealisierte, so ist es beim weißen Hipster Instinkt und Rebellion des Weißen aus der unteren Mittelklasse aus der Vorstadt oder vom Land. Der Hipster der 1999er Jahre nahm die zentralen Anliegen der ursprünglichen Figur wieder auf: Rasse, Wissensressourcen und Grund des Widerstands.
Hildegard Suntinger
Quelle:
What was the Hipster? A sociological investigation.
Edited by Mark Greif, Kathleen Ross and Dayna Tortorici, 2010
N+1 Foundation New York, Sheridan Press
Webtipps:
America’s Top 10 Cities for Hipsters
https://de.wikipedia.org/wiki/Portlandia_(Fernsehserie)
Foto oben: Cory Kennedy auf tatsdelacruzdesign
Blass, knochig, zerrauftes Haar und zerrissene Strumpfhosen – Cory Kennedy galt ab 2005 als der ikonische feminine Hipster. Zu sehen war sie in Blogs und auf Party-Photographien.
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