Karoline Pöhn bringt Daten zur Nachhaltigkeit von Kleidungsstücken in Echtzeit dahin, wo sie gebraucht werden: in Online-Shops! So bekommen nachhaltig orientierte Modekonsument*innen unabhängige Informationen zur Wertschöpfungskette von Produkten ohne selbst lange recherchieren zu müssen.
„Ein bewusster Kleidungskonsum bedeutet oft auch die Entscheidung zwischen Mode und Nachhaltigkeit. Man ist auf spezialisierte Online-Shops angewiesen und kann nicht da einkaufen, wo ‚alle anderen‘ kaufen“, sagt Karoline Pöhn. Das findet sie unfair. Deshalb entwickelte sie Green Score Tool, eine Browser Extension, die Konsument*innen beim Kauf in ‚ganz normalen‘ Online-Shops Bewertungen zu einzelnen Kleidungsstücken liefert.
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Pöhn hat an der Linzer Kunstuniversität Fashion & Technology studiert. Die Arbeit an Green Score Tool begann mit ihrer Bachelorarbeit. Sie hätte auch eine Kollektion erstellen können. Aber damit hätte sie die Probleme des Modesystems – Überproduktion und Ausbeutung – befeuert und das wollte sie nicht. Sinnvoller schien es ihr, eine Software für Endverbraucher*innen zu entwickeln, die einen nachhaltigeren Modekonsum ermöglicht. Deshalb erforschte sie in ihrer BA-Arbeit das psychologische Moment des Modeeinkaufs. Dabei fand sie heraus, dass schon allein die Reflexion des eigenen Verkaufsverhaltens zu einem nachhaltigeren Modekonsum führen kann.
Gesellschaftlich verankert
Eigentlich sieht die Dreiunddreißigjährige ja die Modeunternehmen und Webshop-Betreiber*innen in der Pflicht. Diese würden die Verantwortung allerdings auf die Konsumierenden abwälzen, sagt sie und verweist auf das Zitat der britischen Modedesignerin Vivienne Westwood: Buy less, choose well, make it last. Es sei schon auch ein gesellschaftliches Thema. Aber sie versteht auch den Einwand, dass nachhaltige Mode teurer ist. Zitat: „Rechnet man aber den Preis pro Tragen, dann relativieren sich die höheren Anschaffungskosten. Und auch beim Fünf-Euro-T-Shirt bezahlt jemand den Preis. Wenn es nicht die/der Konsument*in ist, dann sind es die Menschen, die es herstellen.“
Auch beim Fünf-Euro-T-Shirt zahlt jemand den Preis. Wenn es nicht der/die Konsument*in ist, dann sind es die Menschen, die es herstellen.
Karoline Pöhn

Außerdem gebe es einige Modeunternehmen, die sich nachhaltiger darstellen als sie sind. Mit Green Score Tool liefere sie fehlende Informationen und decke falsche Informationen auf, so Pöhn, die sich als Unternehmensaktivistin versteht. Ihre Software stützt sich auf valide Quellen von anerkannten gemeinnützigen Organisationen wie etwa https://remake.world aus USA und https://goodonyou.eco aus Australien. Modeunternehmen können keinen Einfluss auf die Bewertung nehmen.
Nachhaltiger Modekonsum
Pöhn führt die Bewertungen der oben genannten Online-Plattformen in ihrem Tool zusammen und stellt sie dort zur Verfügung, wo sie gebraucht werden: in Mode-Online-Shops. Die Abfrage erfolgt in Echtzeit, die Informationen sind also stets aktuell. Die Anwendung ist am Desktop zu installieren, wo die Software im Hintergrund mitläuft. Aktiv wird sie nur in bestimmten Online-Shops für Bekleidung. Landen problematische Artikel in der Einkaufstasche, erscheint ein Pop-up mit dem Text ‚Achtung – einige der Artikel in deiner Einkaufstasche sind nicht nachhaltig’. Die Bewertung durch Green Score Tool ermöglicht eine unmittelbare Reflexion und soll so nachhaltig Modekonsumierende in ihrer Kaufentscheidung unterstützen.

Nachhaltigkeits-Mittelwert
In der Bewertung der einzelnen Kleidungsstücke steht das Material im Vordergrund. Dabei unterscheidet Green Score Tool in natürliche und erdölbasierte Materialien und deren jeweilige Nachhaltigkeit. Bei einem T-Shirt ist zum Beispiel der Produktionsort der Marke relevant – und ob die Baumwolle aus konventionellem oder biologischem Anbau stammt. Ein weiteres Kriterium ist die Färbemethode, die angewendet wurde. Chemische Textilfarben werden aus Petrochemikalien gewonnen, die Flüsse und Ozeane belasten und direkten Einfluss auf die Haut der Träger*innen und damit den menschlichen Organismus haben.
Darüberhinaus fließen in die Bewertung auch ethische Standards von Marken ein – konkret deren Umgang mit Mensch, Tier, Umwelt und Materialien.
Green Score Tool errechnet aus diesen Kriterien einen Nachhaltigkeits-Mittelwert, der in Form eines Ampelsystems ausgegeben wird. Zusätzlich erhalten Nutzer*innen Nachhaltigkeitstipps. Zum Beispiel werden sie angeregt nachzudenken, ob sie das Produkt wirklich brauchen oder ob sie es sich vielleicht auch ausleihen könnten.
Gesellschaftliches Umdenken
Die Gründerin organisiert ihr Start-up im Alleingang – arbeitet lediglich mit Freelancern zusammen. Dabei musste und muss sie viele Hürden überwinden. „Schon das Einreichen als Abschlussprojekt verlangte einige Überzeugungskraft. Zum Glück konnte ich auf die Unterstützung meiner Professorin Christiane Luible-Bär zählen. Sie hat an meine Idee geglaubt,“ erzählt sie. Und auch in der Entwicklungs- und Umsetzungsphase bleibt es herausfordernd. Trotzdem, aufgeben sei keine Alternative, da sie fest daran glaube, mit Green Score Tool wirklich etwas bewirken zu können.
Ihr höchstes Ziel ist es, ein Umdenken in der Gesellschaft hervorzurufen und Modekonsumierende zu einem nachhaltigen Konsum anzuregen. Unternehmen will sie dazu bringen, ihre Praktiken wirklich nachhaltig, menschlich, fair und umweltschonend zu gestalten und ehrlich und transparent zu informieren. Wobei sie realistisch ist und davon ausgeht, dass es gesetzliche Regelungen braucht, um Unternehmen zu nachhaltigen Schritten zu veranlassen.
Öffentliche Förderungen
Unterstützung und Zukunftsperspektive erfuhr sie auch in monetärer Form von öffentlichen Institutionen: Pilot und Weiterentwicklung der Browser Extension wurden durch eine Förderung des BMKOES (Bundesministerium Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport) und das Startstipendium 2020 der AFA (Austrian Fashion Association) in der Kategorie Societal Challenges. https://www.kreativwirtschaft.at/afa-ausschreibungen/ möglich. Ihr Projekt entspricht dem Sustainable Development Goal (SDG) Nr. 12 der Vereinten Nationen: Responsible Consumption and Production.
Offizieller Launch 2022
Im Mai Herbst 2021 wird eine Erstversion von Green Score Tool online gehen. Im Mai 2022 soll die Software vollumfänglich verfügbar sein. Dann können nachhaltig gesinnte Konsument*innen beim Online-Kauf die shop- bzw. marken-unabhängigen Informationen nutzen. Zunächst wird die Browser Extension auf 45 Online-Shops anwendbar sein. Wobei die Zahl der Shops laufend ergänzt werde. Wie Konsumierende diese Informationen verwenden, sei ihnen überlassen, so Pöhn. Sie wolle nicht den Eindruck eines erhobenen Zeigefingers erwecken.
Die Basisfunktion der Software wird in einer kostenfreien Version verfügbar sein. Die Finanzierung soll über leistbare Abos erfolgen. Abonnenten sollen spezielle Services bekommen, wie etwa die Möglichkeit, Einkaufslisten zusammenzustellen.
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