Yves Jego (64) ist Herausgeber des wöchentlich erscheinenden Newsletters: La Lettre du Made in France. In der Titelstory der 29. Ausgabe kritisiert er, dass das traditionelle Pariser Tennis-Stadion Roland Garros Werbeartikel verkauft, die in Billiglohnländern produziert und teuer in Frankreich verkauft werden. Mehr als das, werde der Eindruck vermittelt, es handle sich um ein französisches Produkt. Ein Fall, den er French Washing nennt.
Bild oben: Titel der 29. Ausgabe von La Lettre du Made in France
Den Artikel hat der Herausgeber selbst verfasst. Er trägt die Überschrift: Roland Garros: Smash sur le Made in France. Im Tennis-Stadion Roland Garros werden schon seit 1891 die French Open abgehalten. Das zweite Tennisturnier der Grand Slam-Turniere, zieht Jahr für Jahr 700.000 Zuschauer an. Eine zusätzliche Einnahmequelle sind die gebrandeten Kleidungsstücke, die im Shop des Stadions angeboten werden und den Besuchern ein begehrliches Andenken sind. Was Yves Jego stört, ist sowohl die Herkunft als auch die Vermarktung dieser Artikel.
Gefärbt, in den Farben Frankreichs
Die Kollektion 2025 sei unter dem Titel „L’art de vivre à la française“ vermarktet worden und trägt die Farben der französischen Flagge. Tatsächlich komme sie aber vorwiegend aus China, der Türkei, Vietnam und Portugal. Jego schreibt: „Man verkauft sehr teuer, was man Tausende Kilometer entfernt zu sehr geringen Kosten produzieren ließ, und färbt es in den Farben Frankreichs ein.“
Ziel dieses French Washing sei es, die Gewinnspanne zu maximieren. Artikel, die im Niedriglohnland ein paar Euro gekostet haben, werden in Frankreich zu einem hohen Preis verkauft. Beim Roland Garros-Turnier kosteten T-Shirts 37 €, Sweatshirts 90 €, Socken 38 € und Unterhosen 26 €. Ähnlich hätten schon die Organisatoren der Olympischen Spiele 2024 in Paris agiert, als sie große Mengen von asiatischen Produkten unter dem Banner der Trikolore verkauften, so der Autor.
Eine verpasste Chance für Frankreich
Bei den hohen Preisen hätte man aber auch in Frankreich produzieren und trotzdem noch eine angemessene Rentabilität erzielen können, so Jego, der darin eine verpasste Chance für die französische Textilindustrie sieht. Es widerlege aber auch die Haltung Derjenigen, die glauben, man müsse die Produktion ins Ausland verlagern, um den Franzosen günstige Preise bieten zu können.
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Denn bei den Werbeartikeln des Roland Garros werde nicht der Verbraucher geschützt, sondern nur der Profit der Organisatoren. Das sei paradox, weil das Image Frankreichs weltweit bewundert, beneidet und kopiert werde. Zitat: „Es könnte ein Schaufenster unserer Werkstätten sein, ist aber lediglich eine Kulisse aus Pappmaché.“ Dabei werde alles getan, um zu verführen, ohne jemals zu viel zu verraten: Ausgefeiltes Storytelling, visuelle Darstellungen, gut platzierte Trikolore.
„Es könnte ein Schaufenster unserer Werkstätten sein, ist aber lediglich eine Kulisse aus Pappmaché.“
Vermeintlich französische Lebensart
Schade auch, dass die Käufer – Franzosen wie Ausländer – glauben, ein Souvenir der „französischen Lebensart“ mit nach Hause zu nehmen, das aber geradezu das Gegenteil von französischem Know-how sei. In den Niedriglohnländern – und vor allem in Asien – sind die Arbeitsbedingungen undurchsichtig und der CO2-Fußabdruck riesig. Schließlich beziehe China seine Energie immer noch zu 56 Prozent aus Kohle. Dabei könne es durchaus auch sein, dass in den Low-Tech-Werkstätten Kinder an den Roland Garros Mützen genäht haben.
Im Gegenzug, rühme sich das Turnier damit, grünen Strom zu verwenden. Dabei verkaufe es einen Traum, in dem der französische Geist nur im Storytelling vorhanden sei, denn die Textilien seien mit dem Flugzeug gekommen. Abschließend bedankt sich Jego bei Jean-Baptiste de Tourris, Gründer der nachhaltigen Fußball-Marke Vista, der ihn auf den Fall hingewiesen habe.
La lettre du Made in France
Yves Jego gründete den Newsletter La lettre du Made in France 2024, mit dem Ziel, den komplexen Wirtschaftssektor der heimischen Produktion allgemein verständlich zu machen. Schließlich mache man sich immer übertriebene Vorstellungen von etwas, das man nicht kennt“, zitiert er im Titel seines Newsletters den französischen Dichter Albert Camus. Laut Herausgeber ist da Medium unabhängig und werbefrei.
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Jego stand in seinen Anfängen politisch rechts und entwickelte sich sukzessive zu Mitte rechts bis liberal. Er war in seiner politischen Laufbahn unter anderem Minister für die Überseegebiete (2008) und Vizepräsident der Nationalversammlung in Frankreich. Die heimische Produktion ist ihm schon lange ein Anliegen. Schon 2011 gründete er gemeinsam mit Antoine Veil (1926-2013) den Verein Origine France Garantie – für Hersteller, die eine Produkt-Zertifizierung anstreben, die höheren Kriterien gerecht wird, als Made in France. Veils Eltern hatten ein Textilunternehmen in Blâmont. Er selbst war als Ökonom im Transportwesen tätig und politisch im Stadtrat von Paris aktiv.
Darüber hinaus engagierte sich Yves Jego für die Entwicklung des Ecoles de la 2ᵉ chance, eine Organisation, die arbeitslosen Schulabbrechern eine bezahlte Ausbildung bietet, um sie ins Berufsleben einzugliedern. 2018 zog er sich aus der Politik zurück, kämpft jedoch unermüdlich für das Produit en France und verteidigt das Know-how, das durch Standortverlagerungen zu verschwinden droht.
Förderung kurzer Kreisläufe
Heute ist Yves Jego Berater und Generalsekretär des World Impact Summit (WIS) und Präsident des Forums der lokalen Mandatsträger für die Umwelt (FOR.E.L.E). Das ist eine überparteiliche Vereinigung, die sich an umweltverantwortliche Lokalpolitiker richtet, die die Wirksamkeit von nachhaltigen Initiativen steigern und das natürliche und kulturelle Erbe wahren wollen. Ein wesentlicher Schwerpunkt ist die Förderung der regionalen Produktion – nicht zuletzt im Sinne kurzer Wirtschaftskreisläufe. Jego war selbst seit 38 Jahre lang in der Kommunalpolitik – zunächst im Gemeinderat von Montereau und seit 1995 als Bürgermeister der 22.000 Einwohner zählenden Kleinstadt in der Region Île-de-France.
Außerdem ist Jego heute Autor von Romanen und Essays, Kolumnist für das Wirtschaftsmagazin EcoRéseau Business und Dozent für Industriefragen an der Katholischen Universität Paris (ICP).
Origine France Garantie
Jego leitete den Verein Origine France Garantie bis 2021. Seither ist Gilles Attaf Präsident des Verbands. Der zählte mit der Marke Smuggler zu den ersten Unternehmen, die ihre Produkte zertifizieren ließen. Heute ist er der Gründer der Marke Belleville und der Forces Françaises de l’Industrie.
Smuggler ist ein französischer Hersteller, der sich auf Maßanzüge spezialisiert hat und vollständig in Frankreich produziert. Die Marke ist außerdem ein Pionier in der Verwendung innovativer und strapazierfähiger Stoffe und schafft es so, lokale Produktion mit Qualität und Innovation zu verbinden. Auch die Marke Belleville ist auf Maßanzüge für Herren spezialisiert.
Förderung der Reindustrialisierung
Mit Forces Françaises de l’Industrie hat Attaf eine Plattform für die Förderung der Reindustrialisierung Frankreichs geschaffen. Im Fokus steht die Abwicklung von Beteiligungen an Unternehmen, die deren Wachstums- und Konsolidierungs- oder Turnaround-Phase beschleunigen soll. Adressiert werden alle Arten von Unternehmen.
Tatsächlich haben Deglobalisierung und fortschreitende Technologien die lokale Produktion wieder zum Greifen nah gebracht. Die Rückkehr der Produktion würde die europäische Wirtschaft nicht nur unabhängiger machen, sondern auch nachhaltiger. Unabhängiger von gestörten Lieferketten, geo-politischen Verwerfungen und globaler Handelspolitik wie etwa der Errichtung von Zöllen. Nachhaltiger, weil mit der regionalen Produktion auch kürzere Kreisläufe einhergehen. Die Modenation Frankreich hat mit Yves Jego einen, der nicht nur darüber spricht, sondern auch Initiativen setzt.
Der Artikel Roland Garros: Smash sur le Made in France erschien am 5. Juni 2025 (29. Ausgabe) des Newsletters La Lettre du Made in France.
Hildegard Suntinger
